Sa was, sa nas, sa Neft i Gas ! (Auf Euch, auf uns, auf Öl und Gas!)

Tag 62, 145 km von Tschernuschka nach Krasnoufimsk, Regen, Regen …schöne Pisten

Die winterlich anmutenden Wetterkapriolen setzen sich fort, und selbst der letzte Mitreisende hat nun die wärmeren Klamotten und die dicken Handschuhe aus der Versenkung herausgekramt.

Die lichten Wälder und Agrarflächen begleiten uns auch heute, nun aber bereichert durch zahlreiche Öl- und Gasfelder. Die unterirdischen Leitungen sind an den farblichen Schildern entlang der Autotrassen auszumachen und verlaufen für Laien völlig unkoordiniert. Auch neue Stränge werden verlegt und verursachen einen heftigen LKW- und Baumaschinenverkehr auf ‘unserer‘ Straße.

Alle größeren Rohstoffkonzerne wie Gazprom, Lukoil, Tatneft… erschließen hier Ressourcen, investieren allerdings auch in die lokale Infrastruktur einzelner Dörfer. Wie Pilze schießen moderne Wohnanlagen für die Mitarbeiter im Energiesektor, am Dorfrand bestehender maroder Ortschaften, aus dem Boden.

Am Nachmittag werden die Wälder dichter, das Tal enger und Kiefern und Lärchen bestimmen das Landschaftsbild. Für über 25 Kilometer tauschen wir teilweise holprigen Asphalt gegen schöne Pisten mit wenig Verkehr, die relativ gut zu fahren sind. Ein Hochgenuss.


Cowboys und Sternchen

Tag 61, 154 km von Tschaikowski nach Tschernuschka, Rückenwind und sehr hügelig

März 1961. Nur wenige Wochen bevor der heldenhafte Juri Gagarin in den Kosmos geschickt wurde, gelangte Tschaikowski, damals noch eine kleine Ansiedlung am gerade errichteten Staudamm und Wasserkraftwerk, zu kurzem Ruhm. Der 5. Sputnik, eine Testrakete für den ersten bemannten Weltraumflug, landete zufällig an der Ausfallstraße gen Osten, eine Stelle die wir heute am frühen Morgen passierten. Die Kapsel war nicht unbemannt, sondern Ivan Ivanowitsch, eine detailgetreue Nachbildung Gagarins, und eine ebenso heldenhafte Promenadenmischung Namens „Sternchen“ waren an Bord und überstanden den Ausflug in den Kosmos unversehrt, wie uns der Freund eines Augenzeugen berichtete.

Feiner Regen und sibirische Kälte um die 4 Grad Celsius bestimmten den heutigen Tag durch hügelige Mischwaldgebiete –  der hellen Taiga. Doch der Wind ist uns hold. Starker Westwind treibt uns, trotz des anspruchsvollen Relief des Vorurals und den klimatischen Bedingungen relativ zügig voran.

Hochwertige Schwarzerdeböden, prägen die Region und es verwundert nicht dass diese intensiv landwirtschaftlich genutzt werden.  Auch Viehzucht ist allgegenwärtig, allerdings nicht mehr in staatlichen Kolchosen, sondern in Form von viele kleine Herden die am Wegesrand  grasen und dessen Hirten uns  noch lange nachwinken bis wir am Horizont verschwinden …

An langen Etappen wie heute lernen wir unseren allgegenwärtigen und verlässlichen Begleiter Viktor noch mehr zu schätzen. Mit seinem Fahrzeug steht er alle 25 bis 30 Kilometer am Wegesrand  und kann immer mit heißem Tee, Kaffee, Balsam und aufmunternden Worten aufwarten. Bolschoij spasibo!

Durch die Udmurtische Republik

Tag 59, 110 km vom Warzi Jaschi nach Ischewsk, Wind, Regen und Hagel.

92 Regionen, Republiken, Bezirke oder autonome Kreise gibt es in Russland. aber wer hat schon von der Republik Udmurtien gehört? Zählt sie doch zu einer der kleineren Provinzen, im westlichen Uralvorland und wir dürfen sie heute durchqueren. Sanft gewellte Taiga dominiert das Landschaftsbild und nur selten zerreißen gewaltige Industrieanlagen die Idylle.

Wehmütig verlassen wir am Morgen das älteste Sanatorium Russlands, Warsi-Jatschi, denn gewaltige Gewitterwolken und Gegenwind erwarten uns bereits am Horizont. Hinzu gesellen sich der ein oder andere Anstieg und Hagelstürme sodass wir uns jeden Kilometer gen Ischevsk hart erkämpfen müssen.

Die udmurtische Hauptstadt Ischevsk -unser Tagesziel- ist eine gewaltige Industriestadt mit Plattenbauten aus allen sowjetischen Epochen, aber vor allem geprägt durch die Auto- und Waffenproduktion. Die legendären Isch Mopeds, der ganze Stolz der Jungs im ländlichen Bereich, werden hier gefertigt in einem Werk, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Zschopau demontiert wurde, und selbst der berühmteste aller Waffenerfinder, Herr Kalaschnikow, hatte hier gearbeitet und nannte diese Stadt bis zu seinem Tode sein Zuhause.

Es raucht, zischt, staubt und stinkt an jeder Ecke. Industrieromantik lädt nicht länger als nötig zum Verweilen ein …


Dein unsichtbarer Freund

Tag 58, 85 km, von Jelabuga nach Warzi-Jatschi

Gestern Feind, heute geliebter Freund. Orkanartiger Westwind bläst uns entlang der oberen Kama und durch weite Landschaften der Sachapulkaja Hochebene gen Osten mit Geschwindigkeiten über 50 km/h. Was für ein Tag, welch Hochgenuss! H U R R A !


Gegen den Wind …

Tag 56, 167km, Tschistopol nach Jelabuga, starker Gegenwind und viel Verkehr

Starker Gegenwind, gelegentlich feiner Nieselregen, dichter Verkehr durch ausgedehnte Industriegebiete und Erdölraffinerien, aggressive Autofahrer und eingestellte Fährverbindungen forderten heute alles von den Radreisenden ab.  Den morgigen Ruhetag im malerisch verträumten Jelabuga haben sich alle, mehr als redlich, verdient.


Kujbischesk Stausee

Tag 55, 86 km von Laischewo nach Tschistopol, entlang des Kujbischesk Stausee

Laischewo liegt an einem künstlichen Binnenmeer, dem Kujbischesk Stausee, dessen Uferlinie heute unsere Reiseroute vorgab.  Gespeist von Wolga, Kama, Svijaga, Kasanka, Cheremshan und Usa ist hier zwischen den Jahren 1955 bis 1957 der größte Stausee in Eurasien entstanden. Sechstausendvierhundertfünfzig Quadratkilometer. Über 2600 Kilometer Küstenlinie, von denen wir heute auf den Weg nach Tschistopol einige wenige in Augenschein nehmen konnten.

Die ökologischen Folgen des Stauseeprojektes sind in ihrer Gesamtheit nicht abzuschätzen. Doch die enorme Verdunstung führte in den letzten Jahrzehnten zu massiven klimatischen Veränderungen, berichten die Einheimischen.

Mussten noch vor wenigen Jahren lange Fährüberfahrten oder weite Umwege in Kauf genommen werden, beschleunigt die neue, fast vier Kilometer lange Brücke über den Stausee bei Alekseevkoe die heutige Etappe. Schon am frühen Nachmittag erreichen wir unser Tagesziel, die ansehnliche Kleinstadt Tschistopol, die während des zweiten Weltkriegs für zahlreiche Schriftsteller, wie z.B. Boris Pasternak,  zum Zufluchtsort wurde und uns heute zu einem kurzen literarischen Streifzug durch die jüngste russische Geschichte einlädt.


Kasan

Tag 53, Ruhetag in Kasan

Was sind die besten Zutaten für einen Ruhetag in Kasan? Ausschlafen, gut und üppig frühstücken, mit Natalja unserer Stadtführerin durch die über 1000 jährige Stadt schlendern und dabei zwischen den Jahrhunderten schwelgen. Mit einem Kaffee in der Hand die Kazanka in die Wolga fließen sehen und für einen Moment inne halten und sich wünschen noch etwas bleiben zu können …

Der tatarische Hundertwasser

Tag 52, 49 km von Zelenodolsk nach Kasan, entlang der Wolga

Eingequetscht zwischen den Gleisbett der Transsibirischen Eisenbahn und der träge dahinfließenden Wolga windet sich ein schmaler Pfad durch Gartenanlagen und Wochenendhäuschen dem wir, froh der Magistrale erneut entronnen zu sein, gleich hinter Zelenodolsk folgen.

Ländliche Idylle, mit einem Hauch Bitumen der von den Bahnschwellen herüberweht möchte man meinen, doch dann das: eine Art metaphysische Riesenskulptur, der farbenprächtiger Tempel der Religionen.

Staroje Arakchino, heißt das Dorf und Ildar Khanow der Künstler, der den Bauauftrag des Panoptikums der Sakralarchitekturen im Traum erhalten hatte.

Am nächsten Morgen ging es los und fast 20 Jahren später ist es zu einem imposanten Ensemble der Weltreligionen ausgewachsen. Kuppeln, Türmchen und Zinnen, Minarette und Zwiebelhauben schrauben sich in allen Farben und Formen in den Himmel empor. Überall Kreuze und Halbmonde, Davidsterne und verspielte ägyptische Mosaiks. Stände diese Objekt in Europa, wäre es längst eine Touristenattraktion, doch hier in einem kleinen Dorf an der Wolga, kurz vor dem Ural hat die wundersame Bauskulptur nicht mehr Besucherverkehr als das kleine Geschäft schräg gegenüber.

Und die Botschaft ? Gott, gleich in welcher Religion, ist Einer.

Kasan ist nun schnell erreicht. Die kulturelle Vielfalt der Metropole prägt das Stadtbild und begeistert. Hier koexistieren heute friedlich russisch-orthodoxe und muslimische Bevölkerungsgruppen. Selbst im Kasaner Kreml herrscht Einigkeit und Friede: neben dem Regierungsgebäude, steht die Maria Kathedrale und die Kul Sharif Mosche, die größte in Russland.


Republiken ³

Tag 51, 127 km, von Tscheboksary nach Zelenodolsk, Nieselregen, weniger Verkehr

Es ist Sonntag, und so verwundert es nicht dass wir vom dichten Verkehr auf der M7 verschont bleiben. Vielleicht ist es auch der kalte Nieselregen, der uns gelegentlich in das Gesicht schlägt, der die motorisierten Wochenendausflügler davon abhält sich auf die Straße zu wagen …

Nach nur wenigen Kilometern beenden wir den Kurzbesuch in der Republik Tschuwaschien, überqueren einen Staudamm über die Wolga und sind in der winzigen Republik Mari El. Unmengen an Geistern und Hexen sollen hier in den Wäldern ihr Unwesen treiben. Und tatsächlich … es wirkt. Die kleineren Straßen die wir nun benutzen können sind wie leergefegt. Das Radfahren wird wieder zum Hochgenuss. Die ausgedehnten zartgrünen Mischwälder, der Balzrufe der Vogelwelt und die sporadischen Ausblicke auf die mächtige Wolga sind Labsal für Körper und Geist nach Tagen im dichten Straßenverkehr.

Unser Tagesziel Zelenodolsk liegt schon in Tatarstan, die dritte bereiste Republik am heutigen Tage. Ihr Charme kann liebevoll mit postsowjetisch bis verkitscht beschrieben werden, aber immer im positiven Sinne …


Trasse E22 (aka M7)

Tag 50, 103 km, von Worotynez nach Tscheboksary, sehr viel Verkehr auf schlechter Straße

Schon morgens reihen wir uns erneut mit unseren Gefährten in den dichten Verkehr der Trasse Nr. 7 ein. Der Zustand der Straße variiert stark, hebt die Stimmung aber nicht wirklich. Im Gegenteil. Bodenlose Schlaglöcher und markerschütternde Bodenwellen fordern Mensch und Maschine …

Tscheboksary, die Hauptstadt der autonomen tschuwaschichen Republik, erreichen wir am frühen Nachmittag und ist für den heutigen Tag unsere Rettung. Welche eine  Augenweide, welch eine Ruhe. Gelegen am lieblichen Ufer der aufgestauten Wolga, mit großzügigen Parkanlagen und wunderbar entspannten Bewohnern.