Westsibirien

Tag 67, 90 km von Bogdanowitsch nach Pyschma , strammer Rückenwind und brennende Sonne

Tamara, unsere Gastgeberin in Bogdanowitsch, zum Abschied: „Früher reisten die Menschen in die Nachbarorte und auch weiter um sich kennenzulernen und um miteinander zu kommunizieren. Das ist selten geworden und das bedaure ich sehr … Ich bewundere Euch, das ihr genau dies tut. Ihr zieht durch Russland und die Welt um andere Menschen und Nationen und ihre regionalen Besonderheiten kennenzulernen. Das ist der beste Weg um Vorurteile abzubauen. Bitte erzählt den Menschen in den nächsten Ländern und zu Hause in Deutschland was ihr hier erlebt habt … Wir wünschen uns nichts sehnlicher als zusammen in Frieden zu leben … bitte erzählt das Zuhause! Ihr seid Prachtkerle…“

Knapp einhundert Tageskilometer erschrecken niemand der Mitradler mehr, wenn strammer Rückenwind uns schon morgens vom Hof bläst, er anhält und uns durch weite Landschaften, ausgedehnte Mischwälder und entlang einer abermals dichtbefahrenen Magistrale schiebt.

Schon am frühen Nachmittag sind wir in Pyschma, einem beschaulichen großen Dorf an der Transsibirischen Eisenbahn, und unseren heutigen Tagesziel. Alsbald sitzen wir in der brennenden Sonne vor dem lokalen Getränkefachgeschäft. Das lokale schmackhafte Bier wird hier in anderthalb Literflaschen abgefüllt und ist zum sofortigen Verzehr bestimmt, behauptet die resolute Verkäuferin mit Nachdruck. Wir beugen uns den russischen Gepflogenheiten … Reisen ist schön.


Sibirski Trakt

Tag 66, 90 km von Ekaterinburg nach Bogdanowitsch, mit Sonne und Rückenwind nach Sibirien

Der erste Radeltag im Westsibirischen Tiefland.  Mit dem Uralgebirge haben wir nicht nur die hügeligen Landschaften hinter uns gelassen, sondern scheinbar auch eine Wetterscheide überwunden. Endlich wieder annehmbare Temperaturen und weite, unendlich wirkende Ebenen, durchzogen von lockeren Mischwäldern. Alternativlos bewegen wir uns wieder auf einer großen, viel befahrenen Magistrale, der E 22 – dem sogenannten Sibirski Trakt.

Die Reparaturstatistik musste heute mehrfach aktualisiert werden. Drei neue Platten (einer für Gerhard, zwei für Oliver) lassen das Reiseleitergefährt unangefochten in Führung gehen … doch strammer Rückenwind entschädigte für alles … mit über dreißig Stundenkilometer flogen wir unseren heutigen Tagesziel Bogdanowitsch entgegen.


Von der Eisenhütte zur prosperierenden Metropole mit Zarenschicksal

Bilderbuch vom Ruhetag am 65. Reisetag in Ekaterinburg

Jekaterinburg oder auch Ekaterinburg, früher auch Katharinenburg (Екатеринбу́рг, 1924–1991 Swerdlowsk / Свердло́вск) ist die erste große Stadt Russlands, die wir erreicht haben, die in Asien liegt.
Gerhard hatte gestern vom „Grenzübertritt“ Europa – Asien berichtet.

Ekaterinburg hat fast 1.4 Mio. Einwohner. Nur Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk sind noch größer.
Der Name der Stadt geht auf Kaiserin Katharina I. (1684–1727, der Ehefrau Peter I.) sowie auf die Heilige Katharina, die Schutzpatronin der Bergarbeiter, zurück. Durch die Stadt fließt die Isset (Исеть). Sie hat uns schon beim reinradeln sehr beeindruckt. Hier könnte man(n) garantiert auch mehrere interessante Tage verbringen.
Wir haben leider nur einen, unseren heutigen Ruhetag, den unsere Radelbeine nach den 525 km in den 4 Tagen mit bis zu 1500 Höhenmetern pro Tag seit Tschaikowsky redlich verdient haben.
Ganz ohne Bewegung können wir aber auch nicht sein und wir machen 4 Stunden einen Stadtrundgang in Begleitung von Aljona.

Ekaterinburg wurde 1723 gegründet. Den Siedlungskern bildeten eine Eisenhütte und im Quadrat darum angeordnete Wohngebäude.
Die reichen Bodenschätze des Ural waren und sind ideal für den Standort.
Zar Peter I. lud damals u.a. Bergbaufachleute aus Sachsen ein und noch heute besteht enger Kontakt zur Stadt Freiberg.

Eine von zwei gesprengten orthdoxen Kirchen wurde nach 1991 wieder aufgebaut. Am Ort der anderen steht heute eine kleine Kapelle.
Wir besuchen die neu renovierte Kirche des Nonnenklosters gleich hinter dem Hotel. Ihr Glockenspiel hatte uns morgens schon geweckt.
Eine Besonderheit: Die Nonnen malen meisterhaft Ikonen, die man(n) sogar kaufen kann.

Aljona erzählt von der Sportbegeisterung der Einwohner, für die ca. 2000 Einrichtungen zur Verfügung stehen.
Alles fiebert natürlich dem Beginn der FIFA-Fußball-WM hier im „östlichsten“ Austragungsort entgegen.
Ekaterinburg ist eine sehr wichtige Universitätsstadt für Russland mit über 80 Bildungseinrichtungen.
Kultur und Kunst haben einen hohen Stellenwert. Es gibt mehrere Theater (Oper, Ballett, Komödien), sogar eine Philharmonie für Kinder und eine für die Erwachsenen, einen ständigen Zirkus, in dem u.a. jährlich internationale Wettbewerbe für Clowns organisiert werden, einen Zoo, eine Kunstgalerie und eine Vielzahl von Museen.

Interessant: Es gibt einige Häuser im Bauhaus-Stil! Nachdem die Nazis in Deutschland das verboten hatten, siedelten viele Künstler der Szene nach dem damaligen Swerdlowsk um und arbeiteten hier weiter. Der Stil wurde später hier als Konstruktivismus bezeichnet.

In den letzten Jahren wurde viel restauriert und neu gebaut, u.a. das neue Boris-Jelzin-Center mit Archiv u.v.a.m., denn er wurde in einem nahegelegen Dorf geboren und arbeitete einige Jahre in der Stadt, bevor er mit der Familie nach Moskau zog.
Wichtiger „Unterstützer“ vieler Bauvorhaben ist auch hier „Gazprom“, sogar bei neuen Null-Energie-Häusern!

Aljona zeigt uns das erste (11-geschossige) Wohnhaus mit einem eingebauten Fahrstuhl. Davor hatten Wohnungsbauprogramme mit „Chruschtschowkas“ (5 Stockwerke) und „Breshnewkas“ (9 Stockwerke) mit kostenlosen Wohnungen für Unterkünfte gesorgt.
Einige der traditionellen alten Holzhäuser gibt es auch noch und sie sollen nach und nach saniert werden.

Im Luxushotel Hyatt (dem teuersten außerhalb Moskaus) wurde 2009 die Vereinigung der BRICS-Staaten geründet.

Bei unserem Rundgang bummeln wir auch am Ufer der Isset entlang und sehen viel Grün in den Parks und Anlagen.
Der Flieder müht sich hier immer noch mit den ersten Knospen ab. So einen kalten Junianfang mit 2-5°C tagsüber wie dieses Jahr gibt es hier auch nicht oft.

1991 wurde hier die kürzeste Metro Russlands mit einer Linie von 12,7 km Länge und mit (seit 2012) neun Stationen in Betrieb genommen.

Zum Abschluß zeigt uns Aljona die Blutskirche, eine neu gebaute orthodoxe Kathedrale. Sie wurde 2002/2003 am Platz der Ermordung der Zarenfamilie errichtet. Hier wurde 1918 von den damaligen Bolschewiki im Umkreis von Jakow Michailowitsch Swerdlow (Яков Михайлович Свердлов, 1885-1919, damals ein führender Politiker der Partei der Bolschewiki sowie etwas mehr als ein Jahr lang Staatsoberhaupt Sowjetrusslands) im Verlauf des Russischen Bürgerkrieges die Zarenfamilie ermordet und in einem alten Bergwerksschacht verscharrt.
Insgesamt wurden 18 Angehörige der Dynastie und viele weitere Personen aus ihrem Umfeld von den Bolschewiki umgebracht.
1998 wurden die sterblichen Überreste der Zarenfamilie in St. Petersburg in der Peter-und-Paul-Kathedrale beigesetzt. Die Familie wurde von der orthodoxen Kirche in Russland 2000 als Märtyrer heiliggesprochen. Im Waldgebiet beim Bergwerksschacht ist ein Kloster in Holzblockbauweise errichtet worden.

Karin und Gerhard „besteigen“ noch den höchsten Büroturm der Stadt, so daß wir auch den Blick von hoch Oben auf die Stadt im Foto zeigen können.

Zurück im Hotel waren wir dann immerhin auch 8 km unterwegs.

Bilderbuch auf:

Von Kontinenten und Bloglesern

Tag 64, von Nischni Sergi nach Jekaterinburg – 102 km

Der Sonntag begann im postsozialistischen Sanatorium – es gab ein üppiges Frühstücksbuffet – überraschend. Weniger überraschend war das Wetter. Die Temperaturen hatten sich zwar verdreifacht, von 2° auf 6°, aber es nieselte bei der Abfahrt doch ordentlich vor sich hin. Also wieder mal Regenkleidung, auch als Wärmeschutz. Der bereits am Ortende nicht mehr ganz so dringend erforderlich war: wir starteten gleich mit einem ordentlichen Anstieg am Ortsende. Effektiv waren es auf 1,5 km bergauf gleich nach dem Frühstück, unbestätigte Gerüchte sprechen von 5 km, die eine Rampe (norddeutsch) hochzutreten waren. Wir Bayern reden da eher von einem ordentlichen Hügel.

Bis Mittag wurde das Wetter besser, es kam auch die Sonne heraus und wir freuten uns auf den Wechsel in einen anderen Kontinent, von Europa nach Asien. Nur kam dieser neue Kontinent einfach nicht. Wir spulten Kilometer um Kilometer ab, erst 17 km vor unserem Ziel Jekaterinburg sahen wir die Stele, die den 60. Längengrad und somit die Grenze zwischen den beiden Kontinenten anzeigt. Auf der anderen Straßenseite stand sie, getrennt von insgesamt 4 Fahrspuren einer autobahnähnlichen Straße und 2 hohen Leitplanken im Mittelstreifen.

2 Radler überquerten die erste Straßenseite, wuchteten die Räder und sich selbst über die Leitplanken, querten die zweite Straßenseite und standen vor der Stele, die enttäuschend klein und zudem wegen Bauarbeiten nicht zugänglich war und scheinbar nur für die Reisenden von Asien nach Europa gilt – die haben einen kleinen Parkplatz mit Kaffeeausschank bekommen. Die 2 anderen Radler befanden, dass sich der Wechsel auf die andere Seite nicht lohnt und knipsten aus der Ferne ihre Fotos. Karin wartete mit Viktor auf dem Parkplatz auf uns.

Auf den Kontinent Asien stießen wir dann beim Abendessen in einem russischen Restaurant an. Traditionell nach Landessitte mit Wodka. Hier probierten wir verschiedene Sorten: Wodka mit Birkensaft, oder einen Wodka, den man 2 x schmeckt: Wodka mit Honig und Meerrettich. Erst kommt der Meerrettich im Kopf an, dann der Alkohol in der Kehle.

Die Leser der Blogs bitten wir um Verständnis, dass es zwar für jeden Tag einen Blog geben wird, aber nicht tagesgenau. Manchmal steht uns kein Internet zur Verfügung, bisher eher selten, an anderen – vor allem langen Radtagen – sind wir einfach zu geschafft oder anderweitig zu beschäftigt (Abendessen = Energiezufuhr), um uns noch am selben Abend hinzusetzen und einen Blog schreiben und mit den Bildern und dem Track hochladen. Es ist immerhin ein Zeitaufwand von 1 – 2 h pro Blog.


Durch den westlichen Ural

Tag 63, 131 km von Krasnoufimsk nach Nischne Sergi, Regen und Berge

Text: Karin Becker, Photos: Oliver Schmidt

Sprungfedern massieren in der Nacht meinen Rücken. Morgens um 7 Uhr sitze ich bei Oliver auf der Bettkante und löffel Tüten-Kascha in mich rein. Im Hotel gibt’s kein Frühstück und im Ort hat noch kein Laden geöffnet. Also schnell die Vorräte reinholen, Wasser kochen und Vorräte muffeln. Peter, Gerhard und Viktor finden auf dem Bett auch noch Platz. Draußen schneit es. Sieht lustig aus, bei den blühenden Obstbäumen vor dem Fenster.

Schnee, Regen und Hagel begleiten uns den ganzen Tag. Die Straße ist gut und zum Glück ohne Killer-Rampen wie gestern. Dörfer machen wach. Mir ist schleierhaft wo hier in diesen Wäldern Leute wohnen, denn ab und an stehen Bushaltestellenhäuschen an der Strecke. Allerdings aus Wellblech und seitlich frei. Offensichtlich werden sie auch gerne abgebaut.

Glücklicherweise gibt’s nach 65 Kilometer eine Kaffeebude an einer Kreuzung! Tee trinken wir 30 Kilometer später bei Viktor im muggeligen Wagen. Einfach sitzen bleiben, das wär’s!!

Die Sonne blinzelt ab und zu mal durch die Wolken. Bei der nächsten Pause zieh ich eine Schicht aus, nehme ich mir vor. Bergauf sehe ich noch die letzten Himmelsschlüsselchen und Buschwindröschen, sie verblühen gerade. Es wird immer schwerer. Runter geht’s blitzschnell. Stunde um Stunde. Wie lange noch? Wir müssen bis spätestens 19 Uhr in unserem heutigen Sanatorium sein, denn dann wird die Schranke geschlossen. Noch mal drei Kilometer ins Zentrum des Ortes, der heute als Schwefel-Heilbad in ganz Russland bekannt ist. Die Heilwässer werden ab 1830 genutzt.

Endlich, um 18.30 Uhr bin ich Zimmer, pünktlich um 19 Uhr steht das Essen im tristen Speisesaal auf dem Tisch. Zum Glück gibt’s ausreichend Brot, denn eine Diät müssen wir nicht machen. Um 19.45 Uhr ist Schluss mit sitzen, wir werden etwas unfreundlich raus gebeten. Ein Bier aus dem Wagen trinken wir gemütlich auf der Etage.

Drei Tage ungefähr 1.500 Höhenmeter rauf und ca. 1.400 Meter runter bei diesen langen Strecken reichen eigentlich.


Sa was, sa nas, sa Neft i Gas ! (Auf Euch, auf uns, auf Öl und Gas!)

Tag 62, 145 km von Tschernuschka nach Krasnoufimsk, Regen, Regen …schöne Pisten

Die winterlich anmutenden Wetterkapriolen setzen sich fort, und selbst der letzte Mitreisende hat nun die wärmeren Klamotten und die dicken Handschuhe aus der Versenkung herausgekramt.

Die lichten Wälder und Agrarflächen begleiten uns auch heute, nun aber bereichert durch zahlreiche Öl- und Gasfelder. Die unterirdischen Leitungen sind an den farblichen Schildern entlang der Autotrassen auszumachen und verlaufen für Laien völlig unkoordiniert. Auch neue Stränge werden verlegt und verursachen einen heftigen LKW- und Baumaschinenverkehr auf ‘unserer‘ Straße.

Alle größeren Rohstoffkonzerne wie Gazprom, Lukoil, Tatneft… erschließen hier Ressourcen, investieren allerdings auch in die lokale Infrastruktur einzelner Dörfer. Wie Pilze schießen moderne Wohnanlagen für die Mitarbeiter im Energiesektor, am Dorfrand bestehender maroder Ortschaften, aus dem Boden.

Am Nachmittag werden die Wälder dichter, das Tal enger und Kiefern und Lärchen bestimmen das Landschaftsbild. Für über 25 Kilometer tauschen wir teilweise holprigen Asphalt gegen schöne Pisten mit wenig Verkehr, die relativ gut zu fahren sind. Ein Hochgenuss.


Cowboys und Sternchen

Tag 61, 154 km von Tschaikowski nach Tschernuschka, Rückenwind und sehr hügelig

März 1961. Nur wenige Wochen bevor der heldenhafte Juri Gagarin in den Kosmos geschickt wurde, gelangte Tschaikowski, damals noch eine kleine Ansiedlung am gerade errichteten Staudamm und Wasserkraftwerk, zu kurzem Ruhm. Der 5. Sputnik, eine Testrakete für den ersten bemannten Weltraumflug, landete zufällig an der Ausfallstraße gen Osten, eine Stelle die wir heute am frühen Morgen passierten. Die Kapsel war nicht unbemannt, sondern Ivan Ivanowitsch, eine detailgetreue Nachbildung Gagarins, und eine ebenso heldenhafte Promenadenmischung Namens „Sternchen“ waren an Bord und überstanden den Ausflug in den Kosmos unversehrt, wie uns der Freund eines Augenzeugen berichtete.

Feiner Regen und sibirische Kälte um die 4 Grad Celsius bestimmten den heutigen Tag durch hügelige Mischwaldgebiete –  der hellen Taiga. Doch der Wind ist uns hold. Starker Westwind treibt uns, trotz des anspruchsvollen Relief des Vorurals und den klimatischen Bedingungen relativ zügig voran.

Hochwertige Schwarzerdeböden, prägen die Region und es verwundert nicht dass diese intensiv landwirtschaftlich genutzt werden.  Auch Viehzucht ist allgegenwärtig, allerdings nicht mehr in staatlichen Kolchosen, sondern in Form von viele kleine Herden die am Wegesrand  grasen und dessen Hirten uns  noch lange nachwinken bis wir am Horizont verschwinden …

An langen Etappen wie heute lernen wir unseren allgegenwärtigen und verlässlichen Begleiter Viktor noch mehr zu schätzen. Mit seinem Fahrzeug steht er alle 25 bis 30 Kilometer am Wegesrand  und kann immer mit heißem Tee, Kaffee, Balsam und aufmunternden Worten aufwarten. Bolschoij spasibo!

Ruhetag und Schwanensee

Bilderbuch am 60. Reisetag vom Ruhetag in Tschaikowski

Tschaikowski (Чайковский) ist nicht nur der Name eines weltbekannten Komponisten. So heißt auch eine Stadt in der Region Perm in Russland in der etwa 83.000 Einwohner leben.
Wir sind gestern hier im Hotel Dilishans (Дилижанс) abgestiegen. Gleich daneben ist ein See, ohne Schwäne.
Die stets hilfsbereiten Frauen und Männer des Hausteams haben sich diesen Satz Mark Twains zum Motto gemacht:
„Каждый хотел бы, чтобы в отеле его обслуживали как дома, а дома – как в отеле“
Марк Твен
[Everyone would like to be served at the hotel as at home, and at home – as in the hotel. / Jeder möchte im Hotel wie zu Hause und zu Hause – wie im Hotel – bedient werden.]
Wir fühlen uns pudelwohl hier.


* — Slippers are for every guest, steht auch auf der Hotel-Website und wir schlappen alle amüsiert damit im Haus herum.

Am heutigen Ruhetag erkunden wir mit Evgenij als sach- und ortskundigen Begleiter die Stadt.
Er kennt aus seiner Dienstzeit als Offizier bei der Sowjetarmee in der DDR einige deutsche Städte und war zuletzt in Neustrelitz, einer Partnerstadt Tschaikowskis, stationiert. Seit 1993 wohnt er nun hier.
Er spricht ausgezeichnet deutsch und wir besuchen sehenswerte Orte der Stadt, angefangen im kleinen Stadtmuseum.
Als immer noch aktiver Marathonläufer hat er ein besonders großes Herz für den Sport und führt uns sogar bis auf die neue Sprungschanze im Sportzentrum Sneschinka (Снежинка = Schneeflocke) hinauf, die es nach zähem Ringen nun auch in den Kalender des Skisprung-Weltcups geschafft hat.

Die Stadt Tschaikowski gibt es erst seit 1955. Vorher gab es hier nur das Dorf Saigatka. Mit dem Bau des Wotkinsker Stausee und dann des Wasserkraftwerkes an der Kama wuchs auch eine neue Stadt. Damit die mit dem Bau beschäftigten Männer sich nicht einsam fühlen mußten, wurde bald eine große Textilfabrik gebaut, die Frauen als Arbeiterinnen in die Region „lockte“.

Der Name der Stadt geht natürlich auf Pjotr Iljitsch Tschaikowski (Пётр Ильи́ч Чайко́вский, 1840–1893) zurück, der ganz in der Nähe in der Stadt Wotkinsk (Во́ткинск; udmurtisch Вотка, Wotka) 😉 geboren wurde und dort bis zum 8. Lebensjahr wohnte.
Wotkinsk ist heute eine etwa ebenso große Stadt.
Ihr erinnert euch – Tschaikowski ist der Komponist der Oper Eugen Onegin sowie der unsterblich schönen Ballette Schwanensee, Dornröschen und Der Nussknacker.
Im Nachschlagewerk eurer Wahl findet ihr die lange Liste der Sinfonien und Orchesterwerke des Meisters.
Sein Denkmal steht an einem sehr schönen Platz mitten in der Stadt.

Darüberhinaus gibt es viele viele Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Sport- und Schwimmhallen für Jung und Alt.
In den letzten Jahren wurde viel renoviert und neu gebaut, u.a. Dank der großzügigen Unterstützung durch PAO Gazprom (Газпром), das weltweit größte Erdgasförderunternehmen.

Evgenij erzählt immer wieder begeistert von den vielen Begegnungen in Neustrelitz und Schwäbisch Hall, bei denen er schon viele Gruppen aus seiner Stadt begleitet hat und er freut sich schon auf die nächsten Reisen. Neben dem Sport spielen bei den Treffen Theaterarbeit und Musik eine sehr große Rolle.

Vor der Stadt am Beginn des Staudamms weist ein großes gebautes Zeichen daraufhin, daß hier der Bezirk Perm und die Stadt Tschaikowski beginnen. Nachdem man(n) dieses Zeichen passiert hat, ist auch die Uhr eine Stunde weitergerückt.

Bilderbuch auf:

Radfahren mit 4 Schichten

59. Tag, von Ischevsk nach Tschaikowsky 88 km

Der Tag in Ischevsk begann mit einem üppigen Radlerfrühstück. Durften wir uns doch schon beim Einchecken am Vorabend 3 Gerichte aus der Karte aussuchen, die dann zum Frühstück frisch bereitet und serviert wurden. Ergänzend dazu gab es noch diverse Sachen von Büffet.

Kein Vergleich zu unserem Sanatoriumsfrühstück vom Vortag, dass aus mehreren kleinen Fleischpflanzerl (Fleischklopse) mit lauwarmen Nudeln bestand, ergänzt um eine kleine Scheibe Käse pro Nase. Wir wollen nicht nur maulen, manche Kurgäste waren noch schlechter dran – Diät!

Diesmal gut genährt starteten wir in einen freundlichen Tag, verließen schnell die Stadt und fanden uns nach kurzer Zeit auf ruhigen Straßen wieder, die sanft die Hügel rauf und runter gingen. Mal war die Straße besser, mal wieder hat sie die üblichen Querrillen und Löcher, aber man ist bemüht, die gröbsten Löcher mit einem Haufen aus Asphalt und Steinen auszugleichen.

Kurz vor der Mittagspause verwandelte sich unsere Straße auf 8 km in eine Piste. Trotz allem hatten wir aber Glück, bei längerem trockenem Wetter hätten uns die Mitbenutzer der Strecke mit Staub überzogen, bei Regenwetter wären wir in Schlammlöchern steckengeblieben. So aber waren wir mit den Rädern teilweise schneller unterwegs als PKW.

Am Ende der Piste fand sich ein netter Platz für unser mittägliches Picknick. Während wir es uns schmecken ließen, zog Regen auf und es wurde sehr frisch. Das Thermometer zeigte bei der Weiterfahrt nur noch 8° C.  Zur Weiterfahrt zogen wir dann alle verfügbaren Schichten übereinander (bei mir 4) und die Regenvollverkleidung an. Trotz allem waren die letzten 25 km bis in unser Etappenziel Tschaikowsky nicht Genussradfahren, da wir uns wenig später auf einer Hauptstraße mit dichtem Verkehr wiederfanden und jeder überholende LKW uns mit einer ordentlichen Menge Dreckwasser duschte.

Kurz von Tschaikowsky überquerten wir auf einem weiteren Staudamm erneut die Kama – der Fluss dem wir schon seit ein paar Tagen aufwärts folgen – wurden von einem Schiffsfriedhof empfangen und wechselten damit innerhalb von 2 Tagen ein weiteres Mal die Zeitzone. Nun sind wir 3 Stunden voraus.


Durch die Udmurtische Republik

Tag 59, 110 km vom Warzi Jaschi nach Ischewsk, Wind, Regen und Hagel.

92 Regionen, Republiken, Bezirke oder autonome Kreise gibt es in Russland. aber wer hat schon von der Republik Udmurtien gehört? Zählt sie doch zu einer der kleineren Provinzen, im westlichen Uralvorland und wir dürfen sie heute durchqueren. Sanft gewellte Taiga dominiert das Landschaftsbild und nur selten zerreißen gewaltige Industrieanlagen die Idylle.

Wehmütig verlassen wir am Morgen das älteste Sanatorium Russlands, Warsi-Jatschi, denn gewaltige Gewitterwolken und Gegenwind erwarten uns bereits am Horizont. Hinzu gesellen sich der ein oder andere Anstieg und Hagelstürme sodass wir uns jeden Kilometer gen Ischevsk hart erkämpfen müssen.

Die udmurtische Hauptstadt Ischevsk -unser Tagesziel- ist eine gewaltige Industriestadt mit Plattenbauten aus allen sowjetischen Epochen, aber vor allem geprägt durch die Auto- und Waffenproduktion. Die legendären Isch Mopeds, der ganze Stolz der Jungs im ländlichen Bereich, werden hier gefertigt in einem Werk, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Zschopau demontiert wurde, und selbst der berühmteste aller Waffenerfinder, Herr Kalaschnikow, hatte hier gearbeitet und nannte diese Stadt bis zu seinem Tode sein Zuhause.

Es raucht, zischt, staubt und stinkt an jeder Ecke. Industrieromantik lädt nicht länger als nötig zum Verweilen ein …