Bilderbuch am Ruhetag in Вели́кий Но́вгород (34. Reisetag)

5 km Stadtbesichtigung zu Fuß, Aprilwetter, kleine Radelwäsche und entspannen

Wir reisen weiter auf den Spuren der über tausendjährigen Geschichte Russlands. Am heutigen „Ruhetag“ erfahren wir mehr über die „Bedeutende Neustadt“, wie man(n) den Namen Weliki Nowgorod (Вели́кий Но́вгород) wörtlich übersetzen könnte. Sie ist eine der ältesten Städte Russlands und feierte im September 2009 ihr 1150-jähriges Bestehen. Sie liegt etwa 180 km südsüdöstlich von Sankt Petersburg am Fluss Wolchow nördlich des Ilmensees (Ильмень Озеро). Schon im Mittelalter war Nowgorod Hauptstadt einer einflussreichen Handelsrepublik und wichtiger Mittler zwischen der Rus und den westlich gelegenen Ländern. Später wurde sie Teil des zentralisierten russischen Reichs.

Nowgorods architektonisches Erbe ist seit 1992 UNESCO-Weltkulturerbe.

Um 11 Uhr treffen wir Marina, die uns auf einem Stadtrundgang begleitet. Leider trifft der Wetterbericht voll zu – Sonnenschein und kurze Regenschauer wechseln sich ab.

Stefan war derweil mit dem Rad zum Ilmensee unterwegs. Südöstlich dieses Sees hatte z.B. die Rote Armee während des Zweiten Weltkriegs nach dem Überfall der deutschen Aggressoren auf die Sowjetunion im Kessel von Demjansk seit Anfang 1942 etwa 100.000 Wehrmachtssoldaten fast ein Jahr lang eingeschlossen.

Wir beginnen unseren Rundgang am Kreml und Marina erzählt von den Anfängen der Ansiedlung, aus der in kurzer Zeit ein bedeutender Handelsplatz wurde, in dem zeitweise 40.000 Einwohner lebten. Da war an Moskau oder gar St. Petersburg noch gar nicht zu denken. Später verlagerten sich die Machtinteressen in Richtung Kiewer Rus. Die Stadt wurde auch oft Opfer kriegerischer Konflikte. Iwan der Schreckliche, aber auch Aleksander Newski drückten ihre Machtstempel auf. 1942 besetzte die deutsche Wehrmacht zusammen mit verbündeten spanischen Truppen Stadt und Umgebung. Noch immer werden Gebeine damals getöteter Soldaten gefunden und auf den örtlichen Soldatenfriedhöfen begraben oder „nach Hause“ zurückgeführt.

Die Nowgoroder überstanden alle Kriege – sagt Marina – insbesondere durch ihren festen Glauben und die Hilfe der kleinen Taube auf der Spitze der Sophienkathedrale, der nun ältesten in ganz Russland seit Kiew nicht mehr dazugehört. Das im zweiten Weltkrieg verlorengegangene Original ihres Kuppelkreuzes wurde vor wenigen Jahren in Spanien wiederentdeckt und zurückgebracht. Im Inneren der Kathedrale verehren die Gläubigen eine sehr alte Ikone, die in einer entscheidenden Schlacht die Stadt gerettet haben soll.

Marina erzählte spannende Geschichten angesichts der berühmten Bronzetüren, die zwischen 1152 und 1156 in Magdeburg gegossen worden waren. Gespannt hörten wir auch zu, als sie einige Details des Nationaldenkmals Tausend Jahre Russland näher erläuterte. Ein spannendes Zeugnis der Geschichte, geschaffen von dem erst 24jährigen Künstler Michail Ossipowitsch Mikeschin, der eine 1859 erfolgte Ausschreibung gegen 40 Bildhauer und Architekten gewonnen hatte.

Auf der anderen Seite des Flusses zeigte Marina uns den „Kirchenbusch“, eine Vielzahl kleiner Kirchen auf engstem Raum und wir schlossen den Rundgang mit der Geschichte des Hanse-Bundes ab. Nowgorod ist dessen östlichste Stadt. Wir wohnen übrigens standesgemäß im Hotel „Ganse“, Teil eines Komplexes, der einst für Katharina die Große gebaut wurde.

Heute leben in der Stadt ca. 220.000 Menschen.

Wow, was für eine geballte Ladung Geschichte. Ich hör mal hier auf zu schwärmen, um den Blog nicht zu sprengen. Wer mehr Lesestoff sucht, findet allein im „WWW“ unerschöpflich viel . Bei Wikipedia sind z.B. 17 A4-Seiten zum Nachlesen gespeichert.

Zur Entspannung gönnten wir uns eine Terrine Borschtsch sowie einen Kaffee mit anschließendem Bummel durchs „Univermag“. Das Kaufhaus hat alle westeuropäischen Marken im Regal mit analogen Preisen dazu. Darum war es wohl auch so ruhig auf den 4 Etagen.

Zwischendurch blieb uns Zeit zum Radelwäschewaschen, damit die wärmeren Stücke relativ sauber ins Archiv verlagert werden können. Der Frühling wird sich doch nun nicht mehr die Regentschaft abnehmen lassen und wir können weiter kurzärmlig und -hosig radeln, oder?

Nun aber endlich die Fotos:


… und hier noch der „Stadtrundgangstrack“:

Unsere Fahrer – Viktor Tsyuplyak

Fahrer des Begleitfahrzeugs durch ganz Russland

Hallo, ich heiße Viktor und begleite die Radgruppe mit meinem Mercedesbus durch ganz Russland. Ich wohne mit meiner Familie in Moskau. Meine Frau und ich stammen ursprünglich aus Rowno in der West-Ukraine, daher spreche ich nicht nur Russisch, sondern auch Ukrainisch und ein paar Worte Deutsch. Ich hoffe es werden im Laufe unserer spannenden Reise durch mein Land noch ein paar mehr dazu kommen. Schön, dass Peter, aber auch Stefan noch so viel Russisch aus ihrer Schulzeit parat haben.

An der Reise reizt besonders das weite Land hinter dem Ural, welches ich bisher auch nur aus Berichten kenne. Zudem war ich sehr gespannt wie die Leute aussehen, die solche eine „verrückte Reise“ unternehmen, obwohl sie nicht mehr die Jüngsten sind. Für dieses spannende Projekt habe ich mir deshalb von meiner Arbeit beim Moskauer U-Bahnbau eine längere Auszeit genommen.
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Geldwechsel in der Bank nur bei gleichzeitigem Abschluss einer Versicherung

80 km von Solzy nach Weliki Novgorod bei gutem Wetter

Nach dem Frühstück in bewährten Sitzgruppen haben wir uns zu unserem ersten Novgorod aufgemacht – dem Großen Novgorod. Das zweite, „niedrige“ , liegt an der Wolga und wir erreichen es -so der Plan- erst in gut zwei Wochen. Die Fahrt lief zügig und störungsfrei über die gut ausgebaute R 56. Aufhalten ließen wir uns nur durch einen der vielen Trupps, die dieser Tage die unzähligen Gedenkstätten des „Großen Vaterländischen Krieges“ für das Fest am 9. Mai flott machen und von einer der nicht so häufigen Raststätten. Diese hatte so massiv geworben, dass wir trotz reichlich Proviant nicht vorbeifahren wollten. Einer Radlergruppe aus St. Petersburg ging es genauso so, was schnell zu freundschaftlichem Fachsimpeln mit geringem Fachwortschatz und gegenseitigem Bestaunen der mitgeführten Ausrüstung führte.

In Weliki Nowgorod, einer uralten Handelsstadt, durfte ich erfahren, dass die heutigen Händler auch Geschäftssinn haben. So hätte ich heute in der Bank nur Geldwechseln können, wenn ich gleichzeitig eine Versicherung abschließe. Trotz mehrfacher Nachfragen stellte es sich nicht als Scherz heraus, stattdessen wurden mir Versicherugspakete für Hausrat, Familie oder Rechtsschutz vorgelegt, die äußerlich an Spielfilm-CDs erinnerten. Letztlich durfte ich aus Kulanz 200 € unversichert wechseln.


Vom Frühstücksformular zur Radler-WG

Von Pskov nach Solzy 137 km, schönes Wetter und leichter Rückenwind

Sieben Uhr Frühstück und 8 Uhr losfahren – war der Plan zur Bewältigung der heutigen 137-km-Etappe. Doch das Frühstücksbuffet öffnet erst ab 8 Uhr. „Wir können ein individuelles Frühstück für 7 Uhr zusammenstellen“- so lautete das Angebot der serviceorientierten Empfangschefin. Als  dann aber gestern Abend jedem einzeln ein umfangreiches Formular zum detaillierten Erfassen seines individuellen Frühstückswunsches vorgelegt wurde waren wir uns schnell einig den Start doch etwas nach hinten zu verschieben.

Gut gefrühstückt erreichten wir wenige Kilometer hinter Pskov praktisch eine Fahrradstraße, auf der es über eine Strecke von knapp 80 km keinen Autoverkehr gab. In Dörfern die wir querten arbeitete man noch mit Kurbelbrunnen und wir wurden vor mehr Storchenpaaren als menschlichen Bewohnern beäugt. Manche Straßenabschnitte hatten einen perfekten Asphaltbelag, sehr viel mehr aber seit bestimmt 30 Jahren keinen Besuch einer Teerwalze mehr gehabt, wieder andere hatten diese Bekanntschaft noch nie gemacht.

Die letzten 45 km auf einer neuen Hauptstraße konnten wir mit Rückenwind schnell bewältigen, so dass alle kurz nach 18 Uhr – gut gelaunt und entspannt ob des geringen Verkehrs und der schönen Landschaft – in Solzy ankamen.

„Ein Restaurant oder eine Kneipe gibt es Solzy nicht!“ verkündete die ältere Dame, die uns aus einem Kabuff im Eingangsbereich unseres heutigen eher einfachen Übernachtungssetablissements in Empfang nahm. Aber darauf waren wir vorbereitet. Viktor hatte kurz vorher kaltes Bier für den traditionellen Ankommensumtrunk besorgt.

Auch die Essensfrage hatten wir schon im Blick und in der Kochnische ließ sich was machen. Wenig später saßen wir alle fünf bei bester Stimmung wie in alten WG-Zeiten auf Sesseln vor unseren Pelmeni in Smetana-Soße mit Salat und Brot bei einem kühlen Bier.


Kreml, Kommandantenstimme und KPRF

Ruhetag in Pskov

Heute haben wir uns einen Tag Ruhe und Kultur gegönnt. Um 11 Uhr hat uns Natalia für eine historische Stadtführung in Empfang genommen. Doch als sie gerade begann sich vor dem Hotel über den Baustil der gegenüber liegenden Kirche warm zu reden, tat es einen satten Knall. Stefan hatte die automatische Glastür unseres Hotels übersehen. Den nun folgenden Ausführungen über die neue Hanse und die Funktion der vielen Kirchen als frühe Form von Geldinstitut, konnte er nur sehr benommen folgen. Doch dank des vom Hotelpagen eilig herbei gebrachten Eisbeutels hat er sich schnell wieder erholt.

Nach reichlich weiteren architektonischen Details und Episoden gelangten wir in den Kreml, die wieder aufgebaute, befestigte Burganlage der Stadt.  Die ist, wie wir hier erfuhren, mindestens ebenso alt wie Isborsk. Natalia war allerdings nicht mehr so gut zu verstehen, da nebenan eine russische Kindergruppe gerade mit Holzschwertern in mittelalterlicher Kampftechnik trainiert wurde. Der Tonfall des Trainers erinnerten unseren Fahrer Viktor an seine Militärzeit in den späten 80er Jahren. „Der hat eine echte Kommandantenstimme“ , flüsterte er mir am Rande zu.

Kurze Zeit später verabschiedeten wir uns von der jungen Pskoverin, die ihre Stadt mit so großer  Begeisterung vorgestellt hatte und jeder ging seiner Wege in den „freien Nachmittag.“ Stefan hatte sich schon etwas vorher zum  1. Mai-Umzug aufgemacht, der von der KPRF, einer der beiden kommunistischen Parteien in Russland, organisiert war. Hier dominierten deutlich jene, die ihr Arbeitsleben noch komplett  in der Sowjetunion verbracht haben. Karin und Peter bevorzugten die jüngere Generation und gingen zu einem Stadtteilfest für Familien.


2000 Kilometer ostwärts

Ein Zwischenfazit und ein Dankeschön

Vor genau einem Monat startete unsere Radweltreise in Berlin, bei Schneeregen und Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ich habe die Tour bis kurz vor die russische Grenze begleitet, immer dem Frühling voraus, der sich zwar mit heftigen Winden bemerkbar machte, zuweilen ein wenig Grün ausschickte, aber gefühlt immer einen Schritt hinter uns blieb.

Inzwischen ist die Radgruppe gut und erstaunlich problemlos in Russland eingereist und hat nun noch 87 Tage russische Weite vor sich. Den Staffelstab hat nun biss-Aktivreisen übernommen. Für die Strecke ab Berlin bis nach Russland waren wir, China By Bike zuständig. Als Ideengeber und Initiator machen wir auch die Globalorganisation der Tour. Falls ihr inzwischen, geschätze Leserinnnen und Leser dieses Blog, auf den Geschmack gekommen seid: Wendet euch vertrauensvoll an uns, auf vielen Teiletappen der Weltreise sind noch Plätze frei! (Ab Xi’an bis Bali wird es aber schon knapp!)

Vielleicht interessiert euch ja auch eine unserer anderen Touren:

CHINA BY BIKE

Eine wichtige Entscheidung hatten wir vor der Reise zu treffen: Wagen wir bei der Wahl der Räder den großen Sprung nach vorne, sprich Highend-Ausrüstung mit Minimalverschleiß und hoher Pannensicherheit? Oder doch lieber die möglichst einfache Ausstattung, die zwar häufiger kaputt geht und öfter gewechselt werden muss, aber noch im Kompetenz- und Ersatzteilbereich eines sibirischen Radschraubers liegt?

Wir haben uns für die erste Variante entschieden und hörten dann mit einer gewissen Nervosität auf mögliche Fahrgeräusche, Auffälligkeiten und ungewöhnliches Verhalten. Als dann in Polen bei Peter und mir ein lautes Knacken an der vorderen Kurbel auftauchte, befürchteten wir schon das Schlimmste. Warum hatten wir nur auf die neue Technik vertraut? Wie spannt man einen Riemen? Wie wechselt man ihn? Alles ein Dutzend mal im Tutorial gesehen, aber eben noch nie selbst gemacht.

Bis Peter dann im Vorbeifahren launisch und eher scherzhaft fragte: „Könnten es auch die Pedalen sein?“ Was bei mir ein Déjà-vu auslöste, denn genau den Fall hatte ich auf einer früheren Tour schon einmal gehabt. Kurz vor dem Tretlagerwechsel hatte ich in einer plötzlichen Eingebung die Pedalen neu geschmiert. Und das Knacken war verschwunden.

Genau so haben wir es dann auch gemacht und fahren seitdem knackfrei und, umso erstaunlicher, seit über 2.000 Kilometern absolut pannen- und wartungsfrei. Nur ab und zu kommt ein wenig Silikonspray auf den Riemen, wenn er mal etwas quietscht.

Fazit: Wir sind mit fantastischem Equipment unterwegs, und daher hier schon einmal ein erster Dank an Tour Terrain, Rohloff, Gates, Magura und Mainstream MSX für die Unterstützung!

Die Liste unserer Partner findet ihr hier:

PARTNER

Für mich geht es nächste Woche auf Erkundung für die Chinaetappe der Radweltreise nach Yibin. Mehr oder weniger dem Yangzi-Oberlauf folgend fahre ich mit kleiner Reisegruppe in Richtung Kunming. Wer gerne virtuell mit dabei sein möchte – den Blog dazu gibt es ab dem 11.05.2018 täglich unter www.china-by-bike.de/blog

Während die Gruppe nun ihren langen Weg zum Baikalsee angeht, hier die bildliche Zusammenfassung der letzten vier Wochen: