Irkutsk, das frühere „Paris Sibiriens“ und Babr mit dem Zobel

Bilderbuch am 105. Reisetag in Irkutsk an einem heißen sibirischen Sommertag.

„Von Berlin über das Baltikum und Moskau zum Baikalsee.“, steht auf der Startseite von http://www.weltweit.bike/.
Was haben wir noch vor Monaten gewitzelt, wenn wir über diese bevorstehende Reise erzählt haben.
Na, wir fahren einfach stringend Richtung Osten und biegen dann vorm Baikalsee rechts ab nach der Mongolei …

Hey! Wir sind an diesem Abzweig und bummeln durch Irkutsk (Ирку́тск), die Hauptstadt der russischen Oblast Irkutsk am einzigen Abfluss des Baikalsees, der Angara. Die fast 600.000 Einwohner sind stolz auf die Bezeichnung Universitätsstadt. Natürlich hält hier auch die Transsibirische Eisenbahn. Per Zug erreicht man Irkutsk von Moskau innerhalb von nur 79 Stunden.

Von Irkutsk sind es jetzt noch etwa 70 km bis zum südwestlichen Ende des Baikalsees.
Noch unglaublicher ist dieser Vergleich, s.a. das Foto aus der Hotelhalle (des „Empire“, gleich neben der Brotfabrik, in dem wir 3-sternig komfortabel ruhetagen): Bis Wladiwostock sind es „nur“ noch 4172 Kilometer, bis Moskau dagegen 5029 Kilometer!

Inna begleitet uns natürlich beim Rundgang durch ihre Stadt, in der sie jetzt lebt und arbeitet. Sie weiß unendlich viel über die Geschichte, Einrichtungen und Persönlichkeiten zu erzählen.
Martina und Sven, die unsere Gruppe auf den weiteren Radelwegen verstärken, sind natürlich auch schon mit dabei.
Bitte nicht abfragen, was wir uns von den Fakten und Geschichtchen alles merken konnten. 🙁

Eins ist aber besonders wichtig. Das Wappen, das Wahrzeichen von Irkutsk: Der Tiger Babr hält einen Zobel als Beute im Maul.
Steht sogar als riesige bronzene Skultur vor dem Zugang zur zentralen Flanelliermeile.

Am Südostrand der Stadt wird die Angara zum Irkutsker Stausee aufgestaut, unterhalb seines Staudamms – aber noch im Irkutsker Stadtgebiet – mündet der von Südwesten kommende Irkut ein, dem der Ort seinen Namen verdankt.

In Irkutsk herrscht hochkontinentales subarktisches Klima. Charakteristisch dafür sind sehr kalte Winter und warme Sommermonate. Das zweite können wir bestätigen. Bei über 30° C in praller Sonne nutzen wir unterwegs jedes schattige Plätzchen.

Irkutsk entstand wie Krasnojarsk auch aus einem Kosakenfort (Ostrog), das 1661 vom Kosakenführer Jakow Pochabow am Ufer der Angara angelegt wurde. 1686 bekam Irkutsk das Stadtrecht. Erst gegen 1760 wurde der Sibirische Trakt, die erste Straßenverbindung zwischen Moskau und Irkutsk fertiggestellt. Am 4. August wird der 120. Jahrestag des ersten hier angekommenen Eisenbahnzuges gefeiert.
Die Stadt entwickelte sich zum Dreh- und Angelpunkt für den Handel mit den Schätzen Sibiriens und den Importen aus dem Kaiserreich China. Mit dem Handel entwickelte sich die Stadt auch zu einem bemerkenswerten Zentrum für Wissenschaft und Kultur – nicht zuletzt dank der großen Zahl von hierhin politisch Verbannten, darunter auch die Dekabristen

Wikipedia schreibt zur Geschichte noch dies:
„Am 14. Januar 1920 stellte der Oberbefehlshaber der alliierten Interventionstruppen in Sibirien Maurice Janin den russischen Admiral und militärischen Führer der Weißen Koltschak unter den „alliierten Schutz“ der Tschechoslowakischen Legion. Die Legion brachte ihn nach Irkutsk, wo der Stadtrat der Sozialrevolutionäre den Durchzug erlauben wollte, falls man Koltschak auslieferte. Janin, der sich bereits in Wladiwostok aufhielt, genehmigte das. Der Stadtrat wurde kurz darauf von den Bolschewiki übernommen, die Koltschak am 7. Februar 1920 standrechtlich exekutierten und seinen Leichnam in einem Eisloch in der Angara versenkten.“
An der Exekutionsstelle wurde vor wenigen Jahren ein Denkmal für Koltschak aufgestellt, um das es immer noch viele Diskussionen gibt. „Wahrscheinlich wird es stehenbleiben“, meinte Inna.

Die große Bedeutung als politisches und wirtschaftliches Zentrum Sibiriens mußte die Stadt im Verlauf des 20. Jahrhunderts an Nowosibirsk abtreten. Irkutsk ist jedoch bis heute mit seiner großen Anzahl Theater und Museen eines der wichtigsten kulturellen Zentren. Irkutsk zählt zu den relativ wenigen Städten Sibiriens, in denen die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten Kaufmannsbauten, aber auch Beispiele reizvoller sibirischer Holzarchitektur im Stadtzentrum flächendeckend erhalten sind. Es gibt viele großzügig angelegte Plätze und Parks.

Die Erlöser-Kirche von 1723 ist das älteste Baudenkmal. Sie war damals das erste Steinhaus der Stadt. Die römisch-katholische Polnische Kirche beherbergt heute einen Orgelsaal. Sie steht an der Stelle, wo der Irkutsker Ostrog gegründet wurde. Die Gedenkstätte zu Ehren des Sieges des Sowjetvolkes im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945 befindet sich gegenüber.

Das Kunstmuseum, 1870 ursprünglich als eine Privatsammlung gegründet, beherbergt etwa 14.000 Kunstwerke: Gemälde, Skulpturen, Mosaike und Ikonen.

In Irkutsk endet auch die russische Fernstraße P-255, die unsere Haupt-„Fahrradstraße“ seit Nowosibirsk war. Hier beginnt die P-258, über die wir ab Montag weiter Richtung Ulan-Ude radeln werden.

Seit 1999 unterhält Irkutsk eine Partnerschaft mit der deutschen Stadt Pforzheim.

Die populärste Sportart in Irkutsk ist übrigens Bandy, eine vom Eishockey abgewandelte Sportart und mit dem Verein HK Baikal-Energija Irkutsk stellt die Stadt einen der erfolgreichsten Vereine in der nationalen Liga. Irkutsk war sogar Austragungsort der Bandy-Weltmeisterschaft 2014.

Den Tag beschließen wir mit einem gemeinsamen Abendessen im urigen Restaurant „Rassolnik“ im Stadtteil mit den meisten noch erhaltenen Holzhäusern, in der Nähe der Babr-Skulptur..
Wir verabschiden uns von Inna (danke für die schöne Zeit miteinander!) und begrüßen Olga, die uns nun bis zur russisch-mongolischen Grenze begleiten wird.

Bilderbuch auf:


Даль-даль-даль-даль / Dal-dal-dal-dal … und atemberaubend schöne Landschaften

Radelsingsang

Es gab ja heute am 102. Reisetag leider nicht viel zu „bloggen“, aber ich hatte da glücklicherweise schon länger mal was vorbereitet. 😉
Thema: Der gaaanz normale sibirische Radweltreise-Alltag. Der Wochentag ist völlige Nebensache.
Zwischen 6 und 7.30 Uhr wecken, packen, frühstücken und 8.00 … 9.00 Uhr auf’s Fahrrad, bei langen Etappen natürlich alles etwas früher. Nach 5 – 10 Stunden mit 2 – 4 Zwischenpausen einschl. Mittagspicknick wieder absteigen und im Hotel einchecken. Abendessen, bloggen u.v.a.m., schlafen.

Was macht man(n) aber nun an so einem Radeltag zwischen Start und Ziel? Ja klar, in die Pedale treten und nicht zu weit vom äußersten rechten Straßenrand abkommen, weder nach rechts (da ist meist grober Schotter) noch nach links (da ziehen u.a. die Brummis vorbei), Löchern im Straßenbelag ausweichen, die kleinsten Lücken bei rissigem Asphalt zum Überollen erspähen und vor allem – die vorbeiziehende Landschaft genießen. Siehe unten!
Wenn der Tages-„Track“ mal nicht nur über eine Magistrale / Rosaftodor, also über eine Autobahn führt, dann sind Fahrten durch kleine und größere Orte eine prima Abwechslung. Und sonst? Sich ununterbrochen über die Vollpfosten in großen und kleinen Autos (einschl. Trucks) ärgern, die uns mit über 100 Sachen auf ihrer Überholspur direkt entgegenrasen, geht auch nicht.
Texte auf Schildern am Straßenrand lesen. OK. Darüber hatte ich schon geschrieben.

Ein Radel-Lied singen?! Warum eigentlich nicht? Muß ja nicht laut sein, aber auch das wäre total egal bei dem zeitweiligen Lärm um uns herum und außerdem radeln wir zwischen den Pausenstopps jede(r) im eigenen Rhytmus, oftmals x-Kilometer und y-Minuten weit auseindergezogen. Würde also niemand unnötig am Gehör belästigt. Luft zum Singen haben wir allemal noch übrig!
Da ich laut noch nie gut singen konnte, „singe“ ich von Zeit zu Zeit still „im Kopf“.

Frage: Welches Repertoire an Fahrradliedern gibt es eigentlich? Was fällt euch Bloglesern und -innen denn da so ein?

Na bestimmt „Bicycle Race“ von Queen („Bicycle bicycle bicycle – I want to ride my bicycle …“),
oder Die Prinzen – „Mein Fahrrad“ („Neulich bin ich mit hundertzwanzig auf meinem Fahrrad ‚rumgefahren, und wie immer konnt ich nur hoffen: Die Polizei hält mich nicht an. …“), oder gar „Ja, mir san mit’m Radl da“ aus der Schatulle mit den Perlen teutonischen / bairischen Volksliedschaffens (Melodie vom amerikanischen Gospel Just Over in the Glory Land von 1906 geklaut, pardon „covered“),
usw. usf.
Das „Fahrrad-Wiki“ (http://de.fahrrad.wikia.com/wiki/Liste_der_Fahrradlieder) hat schon eine nette kleine Liste zusammengetragen.
Kennt jemand noch weitere? Kommentare willkommen.

Mir geht spätestens seit wir die Grenze nach Russland überquert haben insbesondere ein Lied öfter im Kopf herum, das noch nicht im „Fahrrad-Wiki“ gelistet ist.

Ich habe es im vorigen Jahrtausend (1976 und 1977) als Student in den Sommerferien in Moskau beim gemeinsamen Arbeiten auf dem Bau mit Studenten des MEI (Moskauer Energetisches Institut) gehört und gelernt.
Es lief damals im Radio ‚rauf und ‚runter und wenn nicht, sangen wir es zusammen im Bus oder am Lagerfeuer, das „Lied der Fahrradfahrer“ von der Band „Singende Gitarren“.
Es hat die Jahre überdauert. Soweit ich weiß hat die Gruppe vor ein paar Jahren ihr Konzert zum 40. Bandjubiläum genau mit diesem Lied eröffnet und der Saal sang mit. Findet ihr bestimmt bei YouTube.

Wir hatten es uns schon mal zusammen an einem Abend noch weit vor Moskau über Viktors iPad angehört und Karin meint, das wäre früher zu Hause auch mit deutschem Text gelaufen. Kann sich daran noch jemand erinnern?
Hier liegt ein Original (in schwarz-weiß) von damals zum Hören und Sehen:

YouTube

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(Поющие гитары – Песенка велосипедистов / Singende Gitarren – Lied der Fahrradfahrer)

Elvira Milaschina (Nishni Novgorod / Gorki) und Igor Potapow (Sotschi) haben mir geholfen, den Inhalt des Textes ins Deutsche zu übersetzen.
Da sind Worte und Redewendungen drin, die ich mit seit fast 40 Jahren brach liegendem Schulrussisch nie so verstanden hätte. 😉
Vielen Dank.

Singende Gitarren – Lied der Fahrradfahrer

Der Mensch hatte es schwer
vor zehntausend Jahren,
er ging zu Fuß zur Apotheke,
zur Arbeit, zum ZOO.
Er kannte keine Fahrräder,
Blind glaubte er an Wunder,
weil all die Vorteile des Rades unbekannt geblieben waren,
des Rades.

Sonne auf den Speichen,
Bläue über’m Kopf
Wind ins Gesicht,
Überholen wir den Erdengang.
Winde und Meilen
Ins Weite fliehen.
Setz dich und drücke einfach aufs Pedal

Dal-dal-dal-dal
Dal-dal-dal-dal
Dal-dal-dal-dal
Dal-dal-dal-dal
О-о, о-о, о-о, о-о

Aber jetzt in aller Welt
radelt alles irgendwohin,
Fahren Erwachsene und Kinder
zur Arbeit, in den ZOO,
fahren zu Banja und Apotheke,
fahren zur Schwiegermutter zum Mittagessen,
Was geschieht mit dem Menschen
Noch in zehntausend Jahren
tausend Jahren?

Sonne auf den Speichen,

Für Karaoke-Fans und alle, die das Original mitsingen wollen, hier noch der russische Text:
Текст (слова) песни «Песенка велосипедиста» (распечатать)

Трудно было человеку
Десять тысяч лет назад,
Он пешком ходил в аптеку,
На работу, в зоосад.
Он не знал велосипеда,
Слепо верил в чудеса,
Потому, что не изведал
Всех достоинств колеса,
Колеса.

Солнце на спицах,
Синева над головой,
Ветер нам в лица,
Обгоняем шар земной.
Ветры и вёрсты,
Убегающие вдаль,
Сядешь и просто
Нажимаешь на педаль.

Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
О-о, о-о, о-о, о-о

А теперь на белом свете
Все куда-то колесят,
Едут взрослые и дети
На работу, в зоосад.
Едут в баню и аптеку,
Едут к тёще на обед,
Что же будет с человеком
Через десять тысяч лет,
Тысяч лет…

Солнце на спицах,
Синева над головой,
Ветер нам в лица,
Обгоняем шар земной.
Ветры и вёрсты,
Убегающие вдаль,
Сядешь и просто
Нажимаешь на педаль.

Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
О-о, о-о, о-о, о-о
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль
Даль-даль-даль-даль

Damit ihr in die richtige Stimmung zum Mitsingen kommt, hier ein paar Fotos mit landschaftlichen Highlights zurückliegender Radeltage dazu:

Winter am sibirischen Fluß mit 3 Buchstaben mit Asyl für Ehemänner

102. Reisetag: 63 km von Kuitun nach Sima an einem angenehm sonnigen sibirischen Sommertag, ideal für einen kurzen Radausflug

Heute hatten wir einen sehr kurzen Radeltag mit schlappen 63 Kilometern bis zum sibirischen Winter, denn Sima heißt übersetzt Winter.
Das Wetter spielte super mit – Sonne, Wolken, um die 20° und trocken. Gegen 14 Uhr waren wir schon am Ziel.
Unsere heutige Unterkunft „An der Oka“ (mit „Bequemlichkeiten“, d.h. separate Dusche und WC im Zimmer), liegt wenige hundert Meter nach der Brücke über dieselbe. Die Taverna daneben nennt sich „Entfernt von den Ehefrauen“ (Wdali ot schen) – hm, stimmt, zumindest was Gerhard, Viktor und mich betrifft.
Bildchen vom Tage dazu:

Entspannen und Technik-Check bei Kosakin Ija (казачка Ия)

Bilderbuch am 100. Reisetag im Wald nahe Tulun, bewölkt und eher frisch als Sommer, nachmittags leichter dann heftiger Regen

Tulun (Тулун) ist eine Stadt mit ca. 45.000 Einwohnern, die schon in der Oblast Irkutsk liegt. Eine erste Erwähnung soll es bereits um 1735 geben. Der Name bedeutet auf Jakutisch Tal. 1927 bekam das frühere Dorf Tulunowskoje dann das Stadtrecht.

Tulun liegt am Streckenkilometer 4795 (ab Moskau) der Transsibirischen Eisenbahn, etwa am Radweltreisekilometer 8190 (ab Berlin, nach meiner Zählung) an der Fernstraße P-255 / M-53 Nowosibirsk-Irkutsk-Listwjanka sowie am Fluss Ija, die als kräftiger Strom durch das Tal fließt. Die Ija (Ия) ist 484 km lang und von Anfang November bis Ende April zugefroren. Wie gut, dass wir am 8. Juli hier angekommen sind. Sommerlich heiß ist es aber gerade auch nicht. 😉 Weiter hinter Tulun mündet die Ija in den Bratsker Stausee, der auch von der Angara durchflossen wird. Wir haben also auf dem Land-, dem Schienen- und dem Wasserwege schon direkten Kontakt zum Baikal!

Von der Stadt bekamen wir nur einen kleinen Eindruck beim Durchradeln zur Unterkunft, die sich einige Kilometer außerhalb an der Ija befindet und eine „Erholungs-Basis“ (ба́за о́тдыхa) mit dem Namen „Kosakin Ija“ (казачка Ия) ist. So richtig gut läßt sich das aber nicht übersetzen, sagen Inna und Viktor.

Wir nutzen also die heutige Stille (die lauten Wochenendgäste sind alle abgereist) und machen tatsächlich mal nichts als entspannen.
R u h e t a g eben!
Wenigstens fast. Nach einigen tausend Fahrkilometern brauchen auch unsere bisher stets zuverlässigen „tout-terrains“ (und auch die beiden Räder von Karin und Martin) ein wenig Pflege.
Dreck wegputzen, Schraubverbindungen fetten, Schwalbe-Reifen kritisch beäugen (alles bestens!) einschl. Luftdruck prüfen, Gatescarbonriemenspannung justieren, wo nötig Magura-Bremsen justieren etc. pp und – ganz wichtig! – Ölwechsel im Rohloff-Getriebe.

Vielen vielen Dank an Gerhard, der uns seine Erfahrungen dabei vermittelte und das technische Management übernommen hatte. So haben nach knapp 4 Stunden auch alle mit den Interna unserer Fahrrad-Hightech-Boliden noch nicht so vertrauten ganz wichtiges hinzugelernt. Hatte ich schon erwähnt, daß bei Karin (B.) und mir seit Berlin außer mal Luft nachpumpen in den hinter uns liegenden über 8000 Kilometern absolut kein technisches Problem aufgetreten ist? Hey Volker – alles perfekt „konfektioniert“ und die richtigen Sponsoren gewonnen! Ach so, an den immer noch wasserdichten MSX-Lenkertaschen mußte bisher auch nix gewartet werden, außer einem kleinen Problem an meinem Schulterriemen. Da half mir übrigens bei einem Aufenthalt in Tjaschinskij ein netter junger Mann im „Remont Obufi“ (Schuhreparatur), der mir nach 15 Minuten gleichzeitigem angeregten Gespräch das Teil genäht und perfekt verklebt mit den Worten zurückgab „Kostet natürlich nichts, ist ein Geschenk Russlands an die tapferen Radfahrer aus Germanija“. Sowas vergißt man den Rest seines Lebens nicht mehr. 🙂

Für den heutigen Abend haben wir uns ein „Buffet“ (Шведский Стол / Schwedski Stol) mit lokalen Spezialitäten (z.B. mit Wild-Fleisch und besonderem Fisch) bestellt, um den Hundertsten gebührend zu feiern, bevor es morgen früh weiter in Richtung Irkutsk geht. Dahin sind es nicht mal mehr 400 km.

Waldbilderbuch auf:

Abwechslung vom Alltag – Ein kurzer Abstecher zur BAM

97. Reisetag, 96 km von Jurty nach Alsamaj, Sommersonne, Wolken, heftige Regenschauer, aber keine „sibirische Kälte“

Das ist inzwischen ein „geflügeltes Wort“ in der Gruppe: Weniger als 100 km heute? Na gut, sowas wie ein Ruhetag mit Radelausflug …
Soll heißen: Wir lassen den Tag ruhig angehen. Frühstück erst 7.30 Uhr, dann Gepäck zum Bus bringen und die Fahrräder bereit machen, damit wir 8.30 … 9.00 Uhr in aller Ruhe losrollen können.
Bis zur „P-255“ sind es heute nur 50 m, denn das nette kleine Motel „Chutorok“ (ukrainisch für Siedlung oder Dorf) liegt direkt daneben.

Der Tag hält eine willkommene Abwechslung bereit. Wir radeln nicht direkt nach Alsamaj durch, sondern nehmen den Abzweig nach Taischet als alternative Route.

Taischet ist ein ansonsten beschauliches kleines sibirisches Städtchen mit ca. 36.000 Einwohnern, es hat aber einen sehr schönen repräsentativen Bahnhof und der hat nicht nur mit der Transsib zu tun, sondern auch mit der „BAM“!
Wikipedia weiß darüber u.a. dies:
„Die Baikal-Amur-Magistrale (abgekürzt BAM, Байка́ло-Аму́рская магистра́ль / БАМ) ist eine Eisenbahnverbindung, die in Sibirien beginnt und im Fernen Osten Russlands endet. Sie verläuft nördlich und in etwa parallel zur Transsibirischen Eisenbahn (Transsib) und wurde unter anderem aus militärstrategischen Gründen gebaut, weil der Ostabschnitt der Transsib nahe der chinesischen Grenze verläuft, was als potentielle Gefährdung angesehen wurde. Kernstück der BAM ist die ca. 3100 Kilometer lange Strecke von Ust-Kut an der Lena nach Komsomolsk am Amur. Nach ersten Arbeiten in den 1930er- und 1940er-Jahren wurde 1974 mit dem Bau begonnen und die Strecke 1984 offiziell in Betrieb genommen. Seit 1989 war die Strecke durchgehend und störungsfrei befahrbar, doch musste der zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggestellte Seweromuisker Tunnel zunächst über eine 61 Kilometer lange Umgehungsstrecke umfahren werden. Der Tunnel wurde erst Ende 2003 für den regulären Betrieb eingeweiht und ist mit 15.343 Metern der längste Tunnel Russlands.“
Zur BAM werden auch die schon zu Stalins Zeiten gebauten Anschlüsse gerechnet, also ebenfalls der in Taischet an der Transsib.
Seit Mitte der 1980er Jahre wurde das BAM-Projekt zunehmend kritisch betrachtet. Die geplanten Bergbau- und Industrieobjekte im Einzugsgebiet der BAM wurden bisher nicht errichtet und die Strecke war bis zum Ende der 1990er Jahre folglich schwach ausgelastet. 1996 wurde sogar die eigenständige Bahnverwaltung „Baikal-Amur-Magistrale“ aufgelöst. Mit dem Rohstoffboom der letzten Jahre und dem Aufschwung der russischen Wirtschaft wachsen die Transportleistungen jedoch wieder.

Auf dem Bahnhof in Taischet steht gerade ein Zug, der vom Ostsibirischen Nerjungri (Не́рюнгри, jakutisch Нүөрүҥгүрү/Nüörünggürü, einer Stadt in der Teilrepublik Jakutien) nach Moskau fährt. So kommen wir mit vielen Menschen „ins Gespräch“, denen wir natürlich u.a. mit unseren Fahrrädern auffallen.
Echt schön, solche kurzen Begegnungen. 🙂

Über Taischet weiß Wikipedia u.a. noch das:
„Zwischen den 1930er und 1950er Jahren war Taischet Gulag-Zentrale des Sonderlagers OserLag und der Einrichtung Angarstroi. Von hier aus wurde der Eisenbahnbau des ersten Abschnitts der Baikal-Amur-Magistrale gesteuert. Von Taischet bis Bratsk an der Angara liegt nach Gefangenen-Überlieferungen „unter jeder Schwelle mindestens ein Toter“. Neben japanischen Gefangenen der ehemaligen Kwantung-Armee stellten vor allem die Deutschen ein großes Kontingent von Zwangsarbeitern, die in der Regel zu 25 Jahren Lager verurteilt worden waren. Im Herbst 1955 wurden die Überlebenden von ihnen in Taischet gesammelt und nach Adenauers Besuch in Moskau zur Heimreise vorbereitet.“

Der beschauliche Vormittagsausflug kostet uns zwar ein wenig Zeit, aber die machen wir – zurück auf der „P-255“ – wieder wett. Es geht wie schon an den Tagen zuvor munter rauf und runter zwischen 320 und 420 Meter hohen Hügelchen. Die %-Schilder vor den nicht selten 2-3 km langen Anstiegen variieren zwischen 4% und 10%, doch sooo genau sollten diese Angaben nicht genommen werden.
Der Wechsel der Mehrheitsverhältnisse am Straßenrand geht auch weiter. Die schier endlose Zahl Birken weicht mehr und mehr den Nadelbäumen (Kiefern, Tannen und Fichten). Der Charakter der Taiga (dichte, scheinbar undurchdringliche Wälder) setzt sich langsam durch.

Als wir schon auf der Suche nach einem geeigneten Picknick-Plätzchen sind, öffnet der sibirische Himmel die Platzregen-Schleusen. Also weiter. 17 km vor Alsamaj scheint wieder die Sommersonne und wir organisieren eine Art Steh-Picknick. Unsere Vorräte müssen ja auch vorm Verderben bewahrt werden.

Unser Tagesziel ist wieder ein Motel an der „P-255“, das „Pallada“. Diese Motels sind einfach, aber nett, auch wenn es gemeinschaftliche Sanitäranlagen gibt und im Zimmer meist nur eine einzige freie Steckdose verfügbar ist. In den anderen stecken z.B. TV und DVB-T2-Receiver.
Auch das Essen im benachbarten „Kafe“ ist gut und vor allem – zumindest für uns – preiswert. Drei Gänge am Abend plus ein Bier für weniger als 300 Rubel ist doch OK, oder?


Ruhetag am Schönen oder Roten steilen Abhang am Jenissej mit Sieg im Elfmeterschießen

Bilderbuch am 93. Reisetag in Krasnojarsk an einem heißen sibirischen Sommersonnentag

Schon wieder eine sibirische Stadt mit Superlativen – Krasnojarsk (Красноярск).
Mit inzwischen über 1 Million Einwohnern ist die Stadt nach Nowosibirsk und Omsk die drittgrößte Stadt Sibiriens. Sie ist die Hauptstadt der Region Krasnojarsk und manche – darunter auch unser Viktor 😉 – sagen auch, die zweite Hauptstadt Sibiriens. Von Moskau bis hierher sind es, wenn man(n) sich beim Radeln kontinuierlich östlich hält, etwa 4100 km. Das können wir bezeugen!

Krasnojarsk liegt natürlich auch an der Transsibirischen Eisenbahn (Транссибирская магистраль / Transsibirskaja magistral) und sogar noch viel länger am mächtigen Fluss Jenissej (Енисей). Dieser ist etwa 3487 km lang. Rechnet man(n) seinen rechten Quellfluss „Großer Jenissej“ auch noch dazu, dann sogar rund 4092 km. Das ist aber immer noch nicht mal die Hälfte der „eisernen“ Transsib (9288 km).
Ja, wer Beispiele für Größenordnungen sucht, der wird in Sibirien immer fündig, eher als z.B. im Vergleich zum Weltweit-Musterland Bayern. 😉

Krasnojarsk erstreckt sich über eine Fläche von 348 km², also vereinfacht quadratisch betrachtet rund 19 x 19 Kilometer. Wir waren logischerweise gestern beim Reinradeln vom Ortseingangsschild bis zum Hotel auch nochmal mehr als 10 km auf „Stadtrundfahrt“. Hey, das macht echt Spaß, weil wir dabei ganz viel zu Sehen und zum Fotografieren bekommen.
Btw – die 1.5 Millionen Münchener müssen mit schlappen 311 km² auskommen, die 6 Millionen Berliner mit ca. 892 km² (minus 60 km² Wasserfläche minus 164 km² Waldfläche), also wenig mehr als der doppelten bewohnbaren Fläche im Vergleich zu Krasnojarsk.
Die 1.9 Millionen Hamburger sind da mit 755 km² deutlich besser dran.

Seinen Namen verdankt Krasnojarsk einem Kosakenverband unter Andrej Dubenski (kannte ich bisher auch nicht), der hier 1628 (nur noch 10 Jahre bis zum 400. Geburtstag!) eine hölzerne Palisadenfestung (острог / Ostrog) gründete und diese als „Krasny Jar“ (Красный Яр = Schöner oder Roter steiler Abhang bezeichnete, abgeleitet von einer früheren turksprachigen Bezeichnung des Ortes). Die Festung sollte damals übrigens das 300 km entfernte und heute unbedeutende Jenissejsk vor den Angriffen der Kirgisen zu schützen. Die Geschichte weiß, ob’s was genützt hat.

Das 4-Sterne-Hotel „Oktober“ (гостиница Октябрьская), in dem wir „residieren“, steht am Prospekt Mira. Das ist hier die Haupteinkaufsstraße. Sie wurde schon fünfmal umbenannt, weiß Wikipedia: „Zuerst hieß sie Große Straße, dann Woskressenskaja-Straße – nach dem Namen der ersten steinernen dreistöckigen Woskressenskaja-Kirche, die auf der Strelka in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg war sie die Sowjetische Straße, später hatte sie den Namen Stalin-Prospekt und heute heißt sie Prospekt Mira („Allee des Friedens“)“.
Hoffentlich noch ganz lange.
Gestern Abend lärmten bis weit weit nach Mitternacht auf dem Prospekt unzählige Autocorsos und feierten den Sieg der сбо́рная (= Sbornaja, Fußballnationalmannschaft) über Spanien bei der FIFA-WM 2018. Viktor hat das Elfmeterschießen, stark wie er ist, ohne bleibende Gesundheitsschäden überstanden. Gut für ihn und uns.

Bei unserem inzwischen obligatorischen Stadtrundgang begleitete uns heute Anna bei prall-heißer Sonne durch ihre Stadt. Sie ist Lehrerin für Englisch und Deutsch. Start ist natürlich an der Kapelle Paraskewa-Pjatniza (Часовня Параскевы Пятницы) auf dem Hügel Karaulnaja (= „Wachhügel“). Gut, daß Viktor uns mit dem Bus dort hinauffährt. Das wäre sonst ein heftig langer „Spaziergang“ geworden. Wieder unten in der Stadt, laufen wir von einem schattigen Plätzchen zum nächsten, Anna vermittelt uns viel interessantes und macht uns auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam, die wir alleine niemals entdeckt hätten oder die einfach zu weit entfernt, aber dennoch sichtbar sind. So z.B. das berühmte Naturschutzgebiet „Stolby“ (Столбы / „Säulen“. Der Name kommt von den dort bis zu 100 Meter hohen Felssäulen aus Granit, ähnlich denen im Elbsandstein-„Gebirge“.) am gegenüberliegenden Flußufer und die auch auf der anderen Seite des Jenissej stehende kleine Kapelle, die an die hierhin Verbannten der letzten Jahrhunderte erinnern soll. Das kleine Pferdchen am Ufer, das an die Landung der Kosaken unter Andrej Dubenski erinnert. Das Haus des hier sehr verehrten russischen Malers Wassili Iwanowitsch Surikow (Василий Иванович Суриков, * 24. Januar 1848 in Krasnojarsk; † 19. März 1916 in Moskau), in dem heute ein Museum über sein Schaffen informiert. Oder die Figur des nie angepaßten Künstlers A. Posdejew, an dem immer mal wieder jemand versucht, den Regenschirm abzusägen (wegen des Buntmetalls) und nicht zuletzt die historische Apotheke No.1.
Drei Wahrzeichen der Stadt sind übrigens auch auf dem 10-Rubel-Schein – der schon seit 2009 durch Münzen ersetzt wird, aber immer noch im Umlauf ist – abgebildet: die Kapelle Paraskewa-Pjatniza, die Kommunale Brücke über den Jenissej und – auf der Rückseite – das Kraftwerk am Krasnojarsker Stausee (konnten wir leider nicht besuchen).

Inzwischen scheint noch ein viertes hinzuzukommen, der „zweifelnde Bär“ aus Papierseiten im Glaskasten des in Russland sehr bekannten Künstlers Wassili Slonow, der außerhalb Sibiriens mit seinen karikaturhaft-ironisch-kritischen Arbeiten insbesondere von deutschen Medien als „Kreml-Kritiker“ wahrgenommen wird. Fragt mal eure Lieblingssuchmaschine.
Von Anna erfahren wir auch viel über das Wirken und den Einfluß früherer Kaufmannsfamilien, deren schöne Häuser noch heute das Bild der Straßen prägen. Vielen herzlichen Dank, Anna.

Krasnojarsk pflegt Städtepartnerschaften mit 15 internationalen Städten und hat hat seit 2009 auch eine mit Unterschleißheim in Bayern.

Unter den berühmten Töchtern und Söhnen der Stadt, vom Komponisten Wladimir Rebikow (1866–1920) bis Eiskunstläuferin Xenia Krassilnikowa ist auch die seit nun seit vielen Jahren schon deutsche Schlagersängerin Helene Fischer (falls ihr von ihr gehört haben solltet).
Ich hatte spontan einen „Radlergruß am 1. Juli aus Krasnojarsk nach Nürnberg an Helene Fischer“ geschickt (am 1.7. war Konzert im Stadion Nürnberg) und nach einem elektronischen Autogramm gefragt. Antwort des Künstlermanagements: „… diese Möglichkeit gibt es leider nicht. HELENE FISCHER ist zusätzlich auf Tour und kommt erst danach zur Beantwortung der kistenweise Post und Autogrammwünsche. Daher langt es, wenn Sie nach Ihrer Rückkehr einen kurzen Textwunsch und einen frankierten und adressierten Rückumschlag an folgende Adresse senden: …“ Na gut, dann eben nicht. In einem halben Jahr sind – für mich jedenfalls – bestimmt andere Dinge wichtiger.

Bilderbuch auf:

Rasantes Wachstum vom Neuen Dorf zum Neuen Nikolajewsk bis zum Neuen Sibirien

Bilderbuch am 84. Reisetag in Nowosibirsk an einem sonnig-warmen sibirischen Sommertag

Vor Wochen tauchte der Name Nowosibirsk zum ersten Mal auf den Entfernungsschildern an der Autobahn auf. Mit 4-stelliger Entfernungsangabe! Dann folgten bald dreistellige, aber immer noch mit einer 8 oder 7 am Anfang. Seit gestern sind wir nun hier (55° 2′ N, 82° 55′ O), in der Hauptstadt Sibiriens.

Bei unserem Stadtrundgang begleitet uns Elena und wir merken sofort, daß sie ihre Geburtsstadt fest ins Herz geschlossen hat. Wir erfahren eine Menge über die Geschichte und die Stadt heute. Sie betreut oft deutsche Touristen und spricht perfekt deutsch.

Alles begann mit dem damals notwendigen Bau einer Eisenbahnbrücke über den Ob. Der ist hier immerhin 800 bis 1000 Meter breit. Es gab nur Wald soweit das Auge blickte, aber die Gegend wurde mit der Transsibirischen Eisenbahn (Transsib) sehr schnell besiedelt. Das ging schneller, als z.B. in Chicago, sagt Elena stolz. 1917 hatte die Stadt schon 80.000 Einwohner, Ende der 1960er Jahre schon über 1 Million. Zuerst hieß die Siedlung u.a. Nowaja Derewnja (Neues Dorf) bis sie 1903 Stadtrechte und den Namen Nowonikolajewsk (Новониколаевск, nach dem Namen des letzten Zaren Russlands) bekam. 1926 wurde sie schließlich in Nowosibirsk (Новосибирск, „Neues Sibirien“) umbenannt. Morgen wird hier ganz groß der 125. Geburtstag gefeiert. Leider ohne uns, denn wir sind dann schon wieder auf Radeltour. Heute hat Nowosibirsk 6 Brücken über den Fluß und hier leben 1,5 Millionen Menschen aus über 90 Nationalitäten, davon über 90% Russen und u.a. auch 60.000 „Russland-Deutsche“. Der Altersdurchschnitt liegt um Mitte Dreißig! Nowosibirsk ist die drittgrößte Stadt Russlands und die größte in Sibirien (dem „Schlafenden Land“).

Wir bummeln durch die Metropole, an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei und fahren auch ein Stück mit der Metro, dem Trolleybus und der Straßenbahn. Zuerst besuchen wir den wunderschönen Bahnhof. Allein hier müßte man(n) sich lange aufhalten, um alle Details ansehen zu können. Hier halten die Züge der Transsib und auch der Turksib (Туркестано-Сибирская железная дорога, Турксиб, eine zwischen 1927 und 1931 zur Anbindung von Sowjetisch-Turkestan – heute Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – an die Transsib gebaute Eisenbahnstrecke.

Mitten im Stadtzentrum steht seit kurzem wieder die kleine Kapelle St. Nikolai. Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt, wurde 1915 anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Romanow-Dynastie errichtet und gilt als Symbol für den geographischen Mittelpunkt des Russischen Reiches. Zwischendurch stand an der Stelle ein Stalin-Denkmal. Schräg gegenüber steht das Gebäude des deutschen Konsulats für Sibirien.
Der geographische Mittelpunkt des heutigen Russlands soll sich aber inzwischen nach Krasnojarsk verschoben haben. Wir werden das dann dort nachprüfen. 😉

Ein weiteres Wahrzeichen der Stadt ist das Akademische Opern- und Ballett-Theater. Es hat eine 900 Quadratmeter große Bühne. Eine echte Herausforderung für die Künstler/innen, mit ihren Stimmen das Publikum zu erreichen! Elena hat dort im Kinderchor gesungen und war an einer Othello-Aufführung beteiligt! Gage: 2 Rubel pro Auftritt, was damals für sie eine Menge Geld war. Leider lief die Vorstellung nur einmal im Monat, bedauert sie noch heute.

Die vor wenigen Jahren restaurierte Alexander-Newski-Kathedrale war zur Bauzeit das erste Steinhaus der Stadt. An den Ufern des Ob-Stausees wurde 1957 die „Stadt der Wissenschaft“ Akademgorodok gebaut. Sie liegt ca. 30 km südlich vom Stadtzentrum entfernt. Natürlich gibt es viele Bildungs- und Kultureinrichtungen, Museen und so weiter. Eine Besonderheit soll hervorgehoben werden: Die Violinschule, die internationale Größen wie Vadim Repin hervorbrachte. Alles und noch viel mehr über Novosibirsk findet ihr bestimmt alle im „WWW“ mit der Suchmaschine eurer Wahl.

Bilderbuch auf:


Radeln in den sibirischen Sommer mit Reiselektüre auf dem Росавтодор

82. Reisetag, 90 km von Ubinskoje nach Tschulym, sonniges Sommerwetter, helfender Seiten- bis Rückenwind

Sonnenwende / Sommeranfang, auch in Sibirien. Endlich.
Gerhard entdeckt unterwegs einen munter krabbelnden Maikäfer am Straßenrand. Mitten im Juni!

Wir radeln weiter über die „P254“ Richtung Novosibirsk. „Kilometerfressen“. Heute bis zum Motel („Bei Tatjana“) unmittelbar neben der Autobahn nahe Tschulym. Kurz vorher gratulieren wir Igor zum 500. Kilometer seit Omsk. Ist schließlich seine erste so lange Radtour.

Was macht mensch eigentlich so Tag für Tag während der im wesentlichen geradeaus rollenden Radelstrampelei?
In der Gegend um(her)schauen, Felder, Wälder, Wiesen, Seen und Tümpel vorbei“fliegen“ lassen, gigantische wandernde Wolkenformationen bestaunen, dem Kuckuck und anderen Vögeln lauschen (während kurzer autofreier Phasen), den vorbeirumpelnden langen Güterzügen der nahen „Transib“ zuhören, sich über Entgegenraser ärgern …, aber das hatten wir ja schon.
Was noch? Na – lesen! Nun könnte man(n) ja theoretisch auf die Klett-Teile auf dem Deckel der wasserdichten (Achtung! Sponsorenwerbung!) MSX-Lenkertasche ein Buch „kletten“ oder in einen dafür passenden Klarsichteinschub schieben, aber erstens ist grad kein Buch mit Klettstreifen zur Hand, der eBook-Reader liegt im Koffer und ein Klarsichteinschub wurde nicht gesponsort. 🙁
Ich kauf mir einen, wenn ich im März 2019 wieder zu Hause bin. 😉

Alternative: „Lesestoff“ an der Straße mit Rückblick auf frühere Tage und aktuellem von heute.

In manchen Orten stehen alte Postsäulen mit Entfernungsangaben, z.B. wie weit es von hier eine Postkarte mit der Postkutsche bis Moskau oder St. Petersburg hätte. Die Maßeinheit der Zahl ist entweder Werst (ca. 1,09 km) oder Kilometer (= 1000 m), mal so mal so.
Die Fotos dazu in der Galerie wurden am 6. Juni in Kamyschlow aufgenommen.

Eine nette Geste sind die öfter aufgestellten Stelen mit den zwei Worten „Stschaslivovo Puti!“ = Gute Reise oder Glücklichen Weg, was uns auch schon ganz viele Menschen hier zum Abschied wünschten. Bolschoi Spassibo – Vielen Dank!
Andere Säulen heißen uns herzlich willkommen („Dobro Poschalowatch!“). Hallo und danke, aber wir müssen noch weiter!

Am Waldrand erinnern Schilder daran, daß der Wald Besitz der Nation („… narodnoje dostojanije“) ist und mahnen, den Wald vor Feuer („Beregitje les ot ognja“) oder Brand („… ot poschara“) zu behüten oder insgesamt die Natur zu schützen („Beregitje prirody waschu match“). Das sollen auch die Piktogramme mit dem Hinweis auf Abfallkörbe bewirken. Sie finden leider nur selten Auge und Gehör.

Ein Riesenplakat wies auf die Chance zur Rettung („Schans na spassenije“) hin – anschnallen („pristegnis“). Hm, mein Fahrrad hat keinen Gurt, wo ist meine Chance?

Unglaublich oft werden Dienste wie „Schinomontasch“ (Rad-/Reifen-Service) angeboten. Konnten wir bisher alles selbst erledigen.

Ein Schild wie „P254“ erinnert daran, daß mensch auf der Rosavtodor (Росавтодор = „Rossiskaja avtomobilnaja doroga“), der Russischen Autostraße Nummer 254 entlang radelt. In sehr gleichmäßigen Abständen wird der Kilometerzähler um 1 erhöht, also z.B. auf „1234“.

Private und staatliche Dienste fertigen unter bestimmten Bedingungen Fotos Vorbeifahrender vom Straßenrand aus an. Die werden dann sogar per eMail zugeschickt! So bekam unser guter Bus-Geist Viktor einen Gebührenbescheid, weil er innerhalb Moskaus zu langsam (!!) gefahren war. Er hatte uns ein wenig vor dem nachflutenden Verkehr schützen wollen und andere kurz abgeblockt. …
Übrigens, von den Fotokästen gibt es welche mit und welche ohne Kamera darin. Die „mit ohne“ wirken trotzdem, denn den leeren Kasten bemerkt mensch eh nur vom Fahrrad aus.
Wir wurden übrigens auf den bisher über 4000 km durch Russland noch nie geblitzt!

„Polizia“, ein Krankenbett oder Besteck mit Entfernungsangabe besagen, daß in Sibirien Hilfe u.U. erst etwas weiter entfernt möglich ist.
Die Notrufnummer „112“ kann dann nützlicher sein.

Einige Schilder erklären sich selbst, die muß ich nicht übersetzen, oder?

Beschriftungen auf den Brummis mit russischen Kennzeichen sind auch sehr oft in deutsch.
Warum? Na, weil die Spediteure ihre alten Auflieger in großen Mengen nach Russland verhökert haben.
War da nicht mal was mit Sanktionen oder Embargo? Aber doch nicht für die Autowirtschaft! Warum auch überhaupt?

Beschriftete Kreuze aus Holz bitten darum, daß ein Herr Russland schützen und bewahren möge („Gospodi spassij i sochranij rossiju“).

Die Warnschilder vor der Kuh oder mit Kuh und Hirsch finde ich besonders interessant. Rehe haben wir schon beim Überqueren der Autobahn beobachtet, springende Kühe noch nicht.

Dann wären da noch die Preis-Säulen an den Tankstellen. Hallo ihr Autofahrer/innen in Europa! Von DEN Preisen könnt ihr nur träumen!
Rechenhilfe: Ein €uro wird hier durch ca. 75 Rubel ersetzt. DT steht für Diesel und ist etwa genauso teuer wie Benzin. Da seht ihr, wie schwach doch die russische Lobby im Vergleich zur deutschen ist. Viktor findet die Preise trotzdem viel zu hoch.

In den Orten fragen uns Plakate, ob wir Rentner seien („Wuij Pensioner“?) und bieten einen Kredit („Kredit odobren“) an.
Nicht nötig, am 1. Juli kriegen wir doch eine fette Rentenerhöhung. 🙂

Geständnis: Die zwei Schilder, die vor Schneelawinen vom Dach warnen, wurden in den Ruhetags-Städten Jelabuga und Tjumen aufgenommen.
Damals war dort noch Frühling.

Bis morgen in Novosibirsk.


Sibirienharte pyramidale Silber-Pappeln am längsten Nebenfluss der Erde

Bilderbuch vom Ruhetag am 76. Reisetag in Omsk an einem sonnigen sibirischen Sommertag

Omsk (Омск) als Hauptstadt der Oblast Omsk darf sich mit 1.2-1.3 Mio Einwohnern selbstbewußt Großstadt nennen. Wir bummeln am heutigen Ruhetag in der siebtgrößten Stadt Russlands. An der Wirtschaftskraft gemessen ist Omsk sogar die viertgrößte.

Hier fließt die Om (Омь) nach 1091 km in den Irtysch (Иртыш, kasachisch Ертіс / Ertis). Der wiederum ist ein 4248 Kilometer langer linker Nebenfluss des Ob in China, Kasachstan und Russland. Er soll damit der längste Nebenfluss der Erde sein.

Geografisch sind wir schon fast in der Mitte Russlands angekommen (54° 58′ N, 73° 23′ O, hab ich im WWW gefunden), aber im Süden nahe der Grenze zu Kasachstan. Die „Location of Omsk on a map“ kann man(n) u.a. hier gut sehen.

Wir treffen uns 11 Uhr zu einem gemeinsamen Stadtrundgang. Kristina erklärt uns in bestem Deutsch wichtiges über ihre Stadt und beantwortet unsere Fragen.
Wir starten am Hotel „Brick Walls“ in der Uliza Lenina, der – laut Kristina – schönsten Straße in Omsk. Hier ist der sehr aufwendig restaurierte und renovierte historische Kern der Stadt (u.a. mit großzügiger Unterstützung von Gazprom – kommt euch das auch irgendwie bekannt vor?).

„Omsk wurde 1716 vom Trupp des deutschstämmigen Oberstleutnants der Russischen Armee Johann D. Buchholz als Grenzfestung für den Schutz Russlands gegen Überfälle aus dem Südosten gegründet, aber auch als Stützpunkt für die weitere Erschließung Sibiriens. Unter Einfluss des Oberbefehlshabers Iwan Iwanowitsch Springer entstand auf dem östlichen Ufer des Irtysch 1768 eine für die damalige Zeit moderne Festung mit Mauerwerk. Diese verhalf Omsk dazu, als militärisch-strategisch wichtiger Stützpunkt fortzubestehen. Seit 1782 ist Omsk eine Stadt. Im 19. Jahrhundert war Omsk Verbannungsort für Dissidenten, wie zum Beispiel Fjodor Dostojewski und die Dekabristen.“, kann man bei Wikipedia nachlesen und noch viel mehr. Aber das tut ihr sicher sowieso selbst.

Vor zwei Jahren feierte die Stadt also ihren 300. „Geburtstag“. Die Transsibirische Eisenbahn verhalf auch Omsk zu starkem Wirtschaftswachstum. Der Irtysch verbindet nördlichere Städte in der Taiga mit Omsk. Schifffahrt gibt es zur Zeit aber eigentlich kaum.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde hier in der „Fabrik Nr. 174“ (dem „Woroschilowwerk“) unter anderem der legendäre Panzer T-34 gebaut. Die Fabrik gibt es nicht mehr, aber einen kleinen Park mit Produkten von damals. Wegen der Militär- und Raumfahrtindustrie war auch Omsk nach dem Zweiten Weltkrieg eine geschlossene Stadt, zu der Ausländer keinen Zutritt hatten.

Omsk hat 4 Universitäten, 20 Hochschulen und mehr als 40 Forschungsinstitute. Viele junge Menschen studieren hier, finden danach aber nur schwer Arbeit und wandern nach Novosibirsk, Moskau oder Sankt Petersburg ab. Dafür ziehen viele Russen aus Kasachstan aufgrund der dortigen Situation in die Omsker Oblast. „Im Gebiet rund um Omsk findet man bis heute viele Russlanddeutsche, zum Beispiel im Deutschen Nationalkreis Asowo, die in den Kriegsjahren aus der Wolgaregion nach Sibirien und anderen Teilen der Sowjetunion verbannt wurden. Zahlreiche Dörfer unweit von Omsk … wurden von Russlandmennoniten gegründet; dort lebt heute noch eine große Zahl dieser Plattdeutsch (Plautdietsch) sprechenden Mennoniten. “ (Wikipedia)

Nochmal Wikipedia: „Omsk ist ein Kunst- und Kulturzentrum und besitzt eine sehenswerte Altstadt mit Fassaden aus mehreren Jahrhunderten. Die Nikolaus-Kathedrale (1838–1840) von Wassili Stassow sowie die Eisenbahn-Akademie von Frederik Lidwal, der in Sankt Petersburg das Grand Hotel Europe errichtete, sind einige Beispiele einer architektonisch durch und durch interessanten Stadt. Beispiele moderner Architektur sind das Musiktheater in Form einer Sprungschanze oder das Handelszentrum aus den 1980er-Jahren.“
Wir besichtigen die 2007 wieder errichtete Mariä Himmelfahrt Kathedrale (Успенский кафедральный собор).

Omsk hat 83 Bibliotheken, neun Museen und mehrere Theater. Das älteste, das Schauspielhaus, ist über 130 Jahre alt. Auch die Philharmonie und der russische Volkschor haben über die Grenzen Sibiriens hinaus einen guten Ruf.

Im Eckhaus Partizanskaja / Lenina wohnte 1919/20 Jaroslav Hasek, der Autor des „Braven Soldaten Schwejk“.

Die Omsker Gemäldegalerie im prächtigen Gouverneurs-Palast (1859 – 1862) „Michail Wrubel“ zeigt Werke von Wrubel, Ilja Repin u.v.a.m. Im Archäologischen und Völkerkundemuseum gibt es ebenfalls ein Mammutskelett anzuschauen. Wir hatten leider nicht so viel Zeit.

Kristina erzählt von den Bemühungen des russisch-deutschen Agronomen, Dendrologen, Genetikers und Selektionsforschers Herbert Gense (1904-1997) kanadische Pappeln an das raue sibirische Klima anzupassen. Auch in der Uliza Lenina wachsen heute diese noch kleinen pyramidalen Silber-Pappeln.

Sportliche Höhepunkte sind Eishockey (HK Awangard Omsk gehört übrigens wie der FC Chelsea dem Milliardär Roman Abramowitsch) und drei verschiedene jährliche Marathonläufe, darunter der SIM, der Siberian Ice Marathon (sog. Omsker Weihnachtsmarathonlauf). Da wird bei Temperaturen um −20 °C und darunter gelaufen! Am Start waren sogar Läufer aus Kenia.

Omsk hat 14 internationale Partnerstädte, aber (noch) keine in Deutschland. 2016 wurde das Kultur- und Geschäftszentrum „Russisch-Deutsches Haus // Omsk“ in Zusammenarbeit mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten eröffnet. Dort werden insbesondere Sprachkurse für alle Altersgruppen angeboten und dort arbeitet auch Kristina aktiv mit.

Bilderbuch auf:


Schiffbau in Sibirien, ein Doschtschanik im Wappen und riesige Ölvorräte

Bilderbuch vom 69. Reisetag in Tjumen, sommerlich sonnig und windig. Von Peter Frenzel.

Tjumen (Тюмень; Betonung auf dem e !) ist die Hauptstadt der gleichnamigen russischen Oblast in Westsibirien. Sie hat etwa 700.000 Einwohner, ist also ungefähr so groß wie Frankfurt am Main, liegt aber am Fluss Tura. Bis Moskau sind es von hier ca. 1700 km Luftlinie.
Geradelt sind wir bis hierher rund 2300 km.

In der Oblast leben vor allem Russen (80 %), aber auch eine Vielzahl anderer Ethnien, wie Tataren, Ukrainer, Russlanddeutsche, Tschuwaschen, Weißrussen, Baschkiren, Kirgisen und Inguschen.
Übrigens, eine Oblast (ja, ist wirklich weiblich) bedeutet wörtlich „Gebiet“ und ist die Bezeichnung für einen größeren Verwaltungsbezirk, von denen es viele gibt. Noch öfter wechseln wir die Rajons. Diese sind kleinere Verwaltungsbezirke innerhalb der Oblaste und entsprechen in etwa den deutschen Landkreisen bzw. den österreichischen Bezirken. Machmal radeln wir an einem Tag durch 3-5 Rajons.
Tjumen selbst ist heute in 4 Stadtrajons gegliedert und zählt zu den ältesten russischen Ansiedlungen Sibiriens.

Wikipedia schreibt: „Es wurde bereits 1586 als Fort der Kosaken an der Mündung der Flüsse Tjumenka und Tura zum Schutz gegen die Steppennomaden gegründet. Seit dem 17. Jahrhundert war Tjumen ein wichtiger Transitpunkt auf dem Handelsweg von Sibirien nach China. Tjumen wurde Handelszentrum und bedeutendes Handwerkerzentrum mit Schmieden, Glockengießereien, Lederverarbeitung und Seifenproduktion. Seit 1709 gehörte Tjumen zum Sibirischen Gouvernement. 1782 erhielt Tjumen das Stadtrecht und wurde 1796 Kreisstadt im Gouvernement Tobolsk. Mit dem Bau des ersten Schiffes in Sibirien 1838 begann in Tjumen die Flussschifffahrt, auch wurde eine Bahnlinie nach Jekaterinburg gebaut. Tjumen wurde zum Zentrum für Schiffbau, Holzverarbeitung und Fischfang, auch die Teppichproduktion war stark entwickelt.“

Um erste eigene Entdeckungen zu machen, bummeln wir nach Ausschlafen und spätem Frühstück der Nase nach durch die Stadt und am Flußufer entlang. Am Nachmittag treffen wir uns dann mit Andrej zu einem weiteren Stadtrundgang. Er hat in Tjumen Germanistik studiert und spricht perfekt deutsch. Unterwegs erfahren wir viel interessantes über die Stadt und die Oblast.

Tjumen liegt an der Hauptstrecke der Transsibirischen Eisenbahn, aber wirtschaftlich noch wichtiger ist: 80-85% der russischen Erdölvorräte „lagern“ in der Oblast. Also ist die petrochemische Industrie mit allen großen russischen Firmen (Rosneft, LukOil, BashNeft …) hier repräsentativ vertreten und bestimmt auch das Studienangebot der Bildungseinrichtungen.
Aufgrund des Reichtums an Erdöl und Erdgas zählen Stadt und Gebiet zu den reichsten Russlands, fordern aber auch deutlich höhere Preise für’s Wohnen etc.

In Tjumen gibt es mehrere Universitäten und Hochschulen, natürlich viele Kultureinrichtungen und selbstverständlich einen ständigen Zirkus.

In der Stadt stehen noch viele ältere Häuser, meist aus Holz, neben neu gebauten oder in den letzten Jahren restaurierten und renovierten Wohnblocks.
In einem dieser Holzhäuser ist seit 2008 das „Haus der russisch-deutschen Freundschaft“, in Zusammenarbeit mit Celle, einer Partnerstadt Tjumens, untergebracht.

Andrej nimmt uns mit in das „Stadtuma“-Museum. Hier bestaunen wir unter anderem das Gerippe eines fossilen Mammuts. Das Museumsgebäude selbst ist auch ein außergewöhnliches architektonisches Denkmal. Hier tagte zur Zarenzeit die Duma der Stadt.

1942, also während des 2. Weltkrieges, wurde der Sarg mit Lenins Leichnam aus dem Mausoleum in Moskau nach Tjumen in ein Fakultätsgebäude evakuiert. Die Ehrenwache zog jedoch weiterhin vor dem Moskauer Mausoleum auf, so daß die Auslagerung von den Einwohnern kaum bemerkt wurde.

Georg Wilhelm Steller (1709–1746, er studierte u.a. in Wittenberg, lebte eine Zeit lang auch in Kamtschatka), ein legendärer deutscher Arzt und Naturforscher, starb hier auf seiner Rückreise von Sibirien nach Sankt Petersburg. An ihn erinnert heute eine Gedenktafel.

Bilderbuch auf: