Hermann telefoniert die Landschaft

120 km nach Shilin.

An einem Sonntag im Oktober brechen wir auf. Zu elft starten wir die heutige Etappe. Es geht in Richtung Steinwald (Shilin). Hier begann vor etwa 270 Mill. Jahren eine seichtes Meer abzufließen, gab den Kalkstein frei und lieferte ihn der Erosion aus. Die bizarren Felsnadeln, die so entstanden sind, erstreckt sich heute auf einer Fläche von über 26.000 Hektar.

Doch bevor wir den sogenannten Steinwald bewundern können, müssen wir erstmal 120 km Strecke überwinden. Es geht beständig auf und ab an Mais- und Tabakfeldern, Ginsengplantagen und Gemüsebeeten vorbei. Wir fliegen durch Dörfer, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Ziegenherden stehen meckernd am Straßenrand. Esel- und Ochsenkarren tockern über den Asphalt. Allein die Handys die uns aus den Autos entgegengehalten werden und die vielen Strommasten erinnern uns daran, das wir uns im 21. Jh befinden.

Nachdem wir den ländliche Alltag zur Genüge begutachten könnten, wird die Landschaft größer, höher und weiter. Sehr zur Freude von Hermann, der mit Begeisterung 15-sekündige Filmchen mit seinem Smartphone von der Umgebung aufnimmt, nachdem seine Kamera kurz nach der Ankunft in China den Geist aufgegeben hat. Deswegen fährst er bei jeder Pause voraus „um die Landschaft zu telefonieren“.

Nach unserem Mittagsmahl (Reisnudeln und geröstete Ente) reißt der Himmel endgültig auf und wir radeln im schönsten Sonnenschein. Nur Herman nicht, der vor der Sonne in das Begleitfahrzeug flieht. Gar nicht so dumm, ich habe mir heute einen leichten Sonnenbrand eingefangen.

Leicht dezimiert fahren wir nun zu zehnt weiter Richtung Steinwald, bewundern die gigantischen Ausblicke, erwischen einen klitzekleinen Regenschauer und erspähen die ersten Kalksteinfelsen. Kurz nach der Ortseinfahrt sammelt sich unsere Truppe wieder und nachdem wir Beat aus den Fängen einer höchstmotivierten Herbergsmutter befreien konnten, er hatte bereits seinen Pass im ersten Hotel, das er erspähte abgegeben, machen wir uns, so frisch es nach 120 km eben geht, an den Endspurt zum Hotel.

Dieses liegt schön ruhig, aber allerdings etwas ab vom Schuss, so daß wir eine kleine Nachtwanderung von 30 Minuten in Richtung Restaurant antreten müssen. Belohnt werden wir mit einem Teller lecker gerösteter Wespen. Die Nahrung der Zukunft, eine Eiweißbombe – da hüpft des Sportlerherz. Auf dem Rückweg leuchten uns Mond und Sterne und das Geschrei der Zikaden begleitet uns bis ins Hotel.


Über uns die Regenwolke

98 km nach Xundian.

Da sitzen wir nun in unserer Herberge. Um uns herum die hoch angepriesene Landschaft, aber wir sehen nichts davon. Zuerst Regen und Nebel, jetzt ist es Nacht. Wir haben uns um den kleinen Kohleofen drapiert und trinken heißen Grog.

Der nächste Morgen ist ebenso kühl und feucht. Wir schlürfen die obligatorische Nudelsuppe. Wieder teilen wir uns: Die eine Hälfte fährt im Auto, die andere sitzt auf dem Rad. Es ist wolkig, Aber im Gegensatz zu gestern lässt sich die Landschaft an einigen Stellen sehen. Der Nebel lichtet sich. Man munkelt auch, die Sonne habe sich zu Weilen schon gezeigt.

Zuerst geht es 20 km bergab, in steilen Serpentinen immer Richtung Tal. Die kleine Straße schlängelt sich durch die rotbraunen und grünen Terrassen, der Himmel hängt tief, aber die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich ihren Weg durch die dichte Wolkendecke. Eine dunkle Regenwolke zieht bedrohlich heran, aber wir sind schneller, saußen bergab. Unten angekommen ist die Sonne da. Wir genießen die wärmenden Strahlen. Dann geht es weiter. Im nächsten Dorf ist Marktag. Von Schweinen, Hasen und Hühnern über Haushaltsgegenständen, Kleidung, Gebäck und Obst gibt es alles, was das Herz begehrt. Und: was wir begehren. Wir decken uns mit leckerem frischen Fladenbrot, Schinken, Granatäpfeln, Drachenfrüchten und Gebäck ein und machen hinter dem Dorf, vor dem ersten richtig anstrengenden Anstieg erstmal Picknick. Dann geht es mit vollem Magen den Berg hoch. Dunkelblaugrau rollt die Regenwolke immer näher heran. Aber wir fahren ihr davon. Wieder gehts bergab. Wir saßen unserer mittäglichen Nudelsuppe entgegen. Zur Auswahl gibt es Reisnudelsuppe oder Weizennudelsuppe.

Als wir das Restaurant verlassen, scheint die Sonne ungewohnt warm und wir fahren fröhlich den Berg hoch. Glücklich über das gute Wetter. Doch wieder verdunkelt sich der Himmel und diesmal schaffen wir es nicht. Sosehr wir auch in die Pedalen treten. Der Regenschauer erwischt uns und beschert uns mal wieder eine nasse Ankunft.


Über den Wolken

45 km nach Hongtudi.

Ich sitze vor dem riesigen Panoramafenster meines Zimmers mit Blick auf die berühmten Terrassenfelder „rote Erde“ und sehe exakt nichts. Dicker Nebel wabert vorüber und hüllt alles in einen milchigen Schleier. Der Strom ist bereits zum zweiten Mal an diesem Tage ausgefallen. Der Generator schafft es nicht die Bedürfnisse so vieler frierender Ausländer zu erfüllen. Ergo – die Heizdecken bleiben kalt. Einzige Wärmequelle ist das in einer riesigen gusseisernen Kanne auf einem irdenen Kohleöfchen bereitete heiße Wasser. Wir umklammern also unseren Tee, blasen Rauchwölkchen darüber. Was für ein Unterschied zu unserem tendenziell überheizten Zimmer in Dongchuan.

Bereits der Blick aus dem Fenster heute Morgen verhieß nichts gutes. Regennasse Straßen. Kaum haben wir uns an trockenes Wetter und ein klein bisschen Wärme gewöhnt, sind die Regenwolken wieder da mit ihrer durchaus demoralisierenden Wirkung auf die Truppe. Zehn von uns entschließen sich mit dem Auto unser heutiges Etappenziel zu erreichen.

Reinold, Helmut und Gerhard lassen sich aber nicht abschrecken und schwingen sich auf die Räder, ist doch für heute eine landschaftlich phänomenale Landschaft angekündigt. Ziemlich holprig geht es für uns los über schlechte, schlammige Straßen durch Chinas Hinterhöfe den Berg hinauf. Nach ein paar Kilometern treffen wir an einem Abzweig auf Xiao Luo und Xiao Luo sowie Christine, Maria und Jan, die sich noch ein wenig den Berg hoch fahren lassen, dann leisten sie uns Gesellschaft.

Zu siebt also ziehen wir uns in weiten Serpentinen den Pass hinauf. Die Straße breit und kaum befahren, der Ausblick traumhaft, wenn man denn etwas sähe. Doch mit jedem Meter, den wir uns nach oben kämpfen, scheint es etwas besser zu werden. Schon brechen wir durch die unterste Wolkenschicht und bemerken plötzlich, dass wir auf eine Berggrad entlang radeln unter und neben uns die Gipfel der benachbarten Berge. Wolkenfäden ziehen vorüber. Alles ist friedlich und still. Auch der Regen hat sich nach und nach aufgelöst. Der Nebel, der uns die schönsten Ausblicke verwehrt, hat etwas durchaus mystisches und wir beginnen die Fahrt zu genießen bis, ja bis etwa 5 km vor dem Ziel eine leichter Niesel verbunden mit einem ekelhaften Gegenwind einsetzt, der unaufhörlich stärker wird und sich zu einem amtlichen Schauer entwickelt. Durchweicht und frierend erreichen wir nach vier Stunden unsere Herberge. Im Eingang brennt ein heimeliges Feuerchen und vor der Tür werden Kartoffeln geröstet. Nun hoffen wir auf Elektrizität….


Staub gefressen

112 Kilometer von Qiaojia nach Dongchuan

Katharina:
Optimal vorbereitet starte ich in den Tag. Frisch durchgeknetet und geschröpft vom blinden Masseur schwinge ich mich aufs Rad um die heutige apokalyptische Etappe anzutreten. Mit mir fahren zehn tapfere Mitstreiter, gerüstet durch Chinas Staub und Dreck zu fahren.

Hans und Hartmut’s Gesundheit schwächelt noch und sie sitzen mit Peter, der vorausschauend keine Lust auf Baustelle hat im Auto. Zur Betreuung ist Isabelle dabei.

Wir übrigen strampeln uns durch die Ausläufer der Stadt Yangzi-aufwärts durch die Landschaft. Oder besser gesagt durch die Idee einer schönen Landschaft. Denn sie könnte tatsächlich schön sein: rauher und zerklüfteter als die vorangegangenen Tage. Mit höheren entwaldeten Hängen und einem Fluß der Gestein und Schlamm vom Ufer reißt. Wären da die Baustellen nicht, die Lastkraftwägen und der damit verbundene Staub, der sich in unsere Haut und jede einzelne Pore frisst.

Auf halbem Weg verköstigen wir uns mit leckeren Nudeln und Reis. Zum Nachtisch gibt es frisches Obst: saftige Mangos, Drachenfrüchte und Erdnüsse. Dann geht es weiter. Wir fahren unserem Ziel und den Begleitfahrzeugen, die ins Hotel vorausgefahren sind und uns auf halber Strecke erwarten, entgegen. Etwa 35 km vorm Ziel treffen wir auf Xiao Lei und Xiao Luo. Sechs Fahrer steigen aus und ins Auto um. Zu fünft treten wir den Letzten Abschnitt, den angeblich apokalyptischen an: Ingemarie, Helmut, Reinold, Gerhard und ich. Viel gibt’s nicht zu sagen. Schön war’s nicht, aber wir sind angekommen und entspannen unsere müden Glieder.

Isabelle:
Nach einer anfänglichen Fahrradetappe leistete ich heute ein weiteres Mal Hartmut in unserem weißen, an der Heckklappe etwas ausgebeulten Wagen mit chinesischer Flagge Gesellschaft und kam so wieder in den Genuss einer bunten Mischung aus englisch-chinesischem Techno mit immer gleichem Rhythmus. Den Beat im Hintergrund schauten wir aus unserem abgeschirmten Nest, das sich mit zeitweise 100km/h im Schnellverlauf dem Ziel näherte, den Baustellenwahnsinn aus mehr oder weniger sicherer Entfernung an.

In Dongchuan angekommen trafen wir gleich auf Xiao Luo (sie), die bereits einige Minuten früher zusammen mit Xiao Luo (er – zufällig haben beide den selben Namen) im Minibus eingetroffen waren. Xiao Luo (er) hievte die Fahrräder unseres kleinen „Lazaretts“*, wie es nun auch liebevoll scherzend genannt wird, vom Dach, während Xiao Luo (sie) und ich uns im Hotel um die Pass- und Zimmergeschichten kümmerten.

Als alles Gepäck und alle Gefahrenen sicher im Hotel abgeladen und einquartiert worden waren, trafen Peter und ich uns auf einen kleinen Stadtspaziergang und waren ziemlich amüsiert. Auf die Frage wo man in diesem Ort ein bisschen Obst kaufen könne, das der heute sehr fiebrige Hans sich gewünscht hatte, wurden wir mit sehr überraschten und irritierten Blicken beäugt.

„Obst? Mhh… Vielleicht irgendwo da oben.“
(vager Fingerzeig in eine grobe Himmelsrichtung)

Unterwegs wurde uns dann klar warum: Dongchuan scheint ein einziges Außenlager der umliegenden Baustellen zu sein. Jedes Geschäft verkauft entweder Baumaterialien oder Kohlenhydrate. Eisenstangen, Holzplatten und Drahtrollen neben Röstkartoffeln, Nudeln, Bratkartoffeln und noch mehr deftigen Sattmachern. Obst? Fehlanzeige! Bis wir dann doch tatsächlich einen Markt fanden, der Einiges im Angebot hatte. Unter anderem ein lustiges Gestrüpp mit schnörkeligen kleinen Auswüchsen, das uns als Frucht angepriesen und schmackhaft gemacht wurde und das tatsächlich auch sehr schmackhaft ist. Die Fruchtvielfalt allerdings war für uns heute das Farbenfroheste – der Rest der Stadt glich zumindest straßenmäßig eher einem großen Trümmerfeld, wo auf der einen Seite mit Presslufthammern aufgehämmert, auf der anderen Seite mit Baggern „aufgefegt“ wurde. Wer braucht schon einen Besen! In China sind die Dimensionen eben anders. Liebhaber des etwas brachialeren Charmes sind heute auf jeden Fall auf ihre Kosten gekommen.


Wie die Maden im Speck

Gut 80 km nach Qiaojia.

Die harten Etappen die hinter uns liegen fordern ihren Preis. Unsere Gruppe dezimiert sich merklich. Hartmut knabbert arg an den Nachwirkungen seines Sturzes und kaum ist Reynold wieder halbwegs auf den Damm, teilen sich Hans und Beat die Rückbank in Xiao Luos Minibus und fressen sich durch unsere Obstvorräte (wie die Maden in der Minibanane).

Dabei ist die heutige Strecke wirklich etwas für Genießer. Wunderschöne Landschaft, immer an der Uferstraße entlang. Meistens bergab, zwischendurch flach wellig bergauf, alles machbar, alles entspannt. Die offene Landschaft wird hie und da von traditionellen kleinen Ansiedlungen unterbrochen, die in ihrem Stil schon sehr an Yunnan erinnern, in dessen Richtung wir uns unaufhörlich bewegen. Überall werden die kleinen leckeren Bananen angeboten, außerdem Papayas und Mangos. Xiao Luo füllt ihre Vorräte auf. Die Bananenstauden haben die Maiskolbengirlanden abgelöst meint Ingemarie. Und das stimmt. 

Ansonsten scheint diese Gegend hier ganz groß in der Seidenraupenzucht zu sein. Kilometerweit erstrecken sich Maulbeerbaumplantagen. Die halb abgeernteten Pflanzen erinnern irgendwie an Staubwedel. 

Und wieder geht es bergab. Unten landen wir plötzlich auf einer riesigen Prachtstraße, siebenspurig und von futuristischen Lampen flankiert.  Hier können wir wie die glorreichen Sieben einreiten, ist dazu Jans’ Kommentar. Wir fahren trotzdem weiter artig in  Reih und Glied. Und reiten zeitnah in einer Garküche ein um unsere mittägliche Nudelsuppen/Maultaschen/gebratene Nudeln abzufassen.

Das heutige Etablissement ist auf Lammfleisch spezialisiert. Hans und Beat, die im Auto vorgefahren sind, bekommen vom Koch das Handy vor die Nase gehalten: Wirst Du Lamm? steht da. Damit wäre das also auch geklärt. Nach der Mahlzeit wird noch die Eistruhe geplündert, dann begutachtet der Koch noch fachmännisch die Ältesten unserer Truppe und die Fahrräder eh er uns von dannen ziehen läßt.

Und wieder geht es bergab. Am Wegesrand reiht sich Dorf an Dorf. Staunende Gesichter, die ihr Handy zücken um uns zu filmen, lachen und winken. An der einen Stelle wird Mais zum Trocknen umgeschichtet an andere Stelle wir ein Mann fachmännisch entlaust. Das alltägliche Leben eben. Einen kleinen Dämpfer verpasst uns nur die verhältnismässig kurze aber stark befahrene Einfahrt in das Städtchen.


Ein Tropfen Regen

80 km nach Puge mit einem angenehmen Pass.

So. Seit gestern wissen wir wie es ist wenn im Süden Chinas die Sonne scheint. Warm und schön. Jetzt kann es los gehen, denke ich und hole aus den Untiefen meiner Reisetasche die Sonnencreme hervor und verstaue sie in meiner Radtasche. In kurzen Hosen und T-Shirt trotze ich der morgendlichen Kühle und stapfe mit der Truppe in Richtung Frühstücksbude. Die Wirtin erwartet uns bereits, weiß was und wie wir es wollen und so ist hier also in weniger als zwei Tagen eine gewisse Routine eingekehrt. Nachdem Frühstück gehts auch schon auf die gestern frisch präparierten Räder in Richtung Puge, Sichuan.

Platsch macht es und eine Regentropfen landet auf meiner Nase. Das ist der eine Tropfen aus Christines Wetter-App. Dann radeln wir durch den erstaunlich entspannten Morgenverkehr aus Yibin. Zum Einfahren sind die ersten 13 km der heutigen Strecke absolut flach, erst dann beginnt allmählich der Anstieg. In weiten Serpentinen zieht er sich über eine Länge von etwas mehr als 20 km den Berg hinauf. Die Temperaturen sind angenehm kühl. Die Wolken hängen tief. Immer wieder öffnet sich der Nadelwald und gibt den Blick frei über eine wunderbar weite Landschaft. Der See vor Yibin wird kleiner und kleiner und ist irgendwann ganz aus unserem Blickfeld verschwunden. Ganz vereinzelt finden sich Stände am Straßenrand, wo die Bewohner der umliegenden Dörfer Pilze, Obst und frisch zubereitete Speisen zum Verkauf anbieten. Ab und an sitzt ein Mensch in der Landschaft und blickt über die weiten Berge. Wasserbüffel grasen gemächlich zwischen den Bäumen. Wir fahren den Berg hinauf, jeder in seinem Rhythmus und sammeln uns hin und wieder an der Versorgungsstation: Xiao Luo. 

Als wir den Gipfel erreichen hat es sich merklich abgekühlt und auf der rasanten Abfahrt wird es so richtig kalt, so dass es manchmal schwierig wird die Schönheit der Szenerie zu erfassen. Gottseidank erwarte uns auf halber Strecke eine kräftige, heiße Suppe. Und…Ein heißer Grog. Die geniale Idee von Jan. Auf der zweiten Hälfte der Talfahrt geraten wir auch noch in einen kräftigen Regenschauer. Das sind dann also die zwei Tropfen von Puge aus Christines Wetter-App. Wir präparieren uns mit Regenkleidung und Plastiktüten (über Helmen und Schuhen) und fahren schnell weiter. Ein wenig Sonne hätte an dieser Stelle nicht geschadet. So hätte man tatsächlich in Muse und Entspannung auf gemächlicher Fahrt die Schönheit der Landschaft genießen können. 


… 12000 13000 14000 15000

Dritte kleine statistische Anmerkung am Ruhetag, heute am 191. Reisetag in Xichang

Kurze Fortschreibung des Eintrags vom 19. August, nach weiteren 50 Reisetagen, also am 191.
Ich stütze mich weiter auf meine Track-Aufzeichnungen des „Mini GPS“.

Wir sind jetzt aktuell bei Reisekilometer 15079. Darin sind auch die 198 Bus-km vom Transfer zum und vom Hustain-Nationalpark in der Mongolei sowie der Transfer zur „Geisterstadt“ (Fengdu, China) und zurück enthalten.

Karin B. blieb bis Xi’an (Reisekilometer 12784) dabei. Stefan fährt seit Chongqing (Reisekilometer 14372) auf eigenen Solowegen Richtung Vietnam weiter. Ich habe bis heute 14417 Radel-km geschafft, die 662 „Buskilometer“ (schlappe 4,3% – pfff …) rausgerechnet.
Von den „Seit-1. April-Berlin-Durchradlern“ Karin B., Stefan und mir bin ich nun seit Chongqing der letzte „Zeitzeuge“, der hier vom Start berichten kann. Gerhard hat mit 12109 auch eine neue Marke überollt. Am 12. Mai bei seinem Start in Moskau stand der Gesamtreisekilometerzähler bei 2970.

In Chongqing, bei Reisekilometer 14273 verließen uns fünf Weltradelmitreisende und zwei kamen neu dazu.
Karin K. war seit dem 29. Juli ab Ulaanbaatar (Km 9783) dabei, also insgesamt 4490 km. Sven stieg bei Km 8597 ab 14. Juli in Irkutsk ein und war 5676 km dabei. Karin L. & Martin R. radelten seit Nowosibirsk (Km 6643), also 7630 km mit.

Alle die seit Xi’an dabei sind haben jetzt auch schon 2295 km hinter sich, die Chongqing-Starter mehr als 800 km. Unsere zeitweilig seit Ybin (km14616) mitradelnden haben aktuell noch viel mehr vor als hinter sich.

In den zurückliegenden Tagen hatten wir ein exorbitantes Wachstum an Höhenmetern.
Dazu führe ich leider keine Gesamtstatistik, aber ihr könnt ja mal die Zahlen an Hand der Track-Infos in den Blog-Einträgen summieren.
Gerhard notiert sich seit Moskau die Werte und von da ab kommen bis heute einige Höhenmeter zusammen:
Am Tag der Einreise China: 38239 Hm
Bei Ankunft Xichang: 79368 Hm
Da ignorieren wir doch glatt die paar Huckel durchs Baltikum und bis Moskau.
Zum Vergleich: Die Mesosphäre reicht als Schicht der Atmosphäre der Erde bis zur Mesopause in 80 bis 85 km Höhe.
Da ist nun definitiv keine „Luft“ mehr nach oben auch wenn der Übergang zwischen Exosphäre und Weltraum erst so nach 500 km beginnt. Wir werden ja auch noch ein paar Tage on Tour sein … 😉
[https://de.wikipedia.org/wiki/Erdatmosph%C3%A4re]

Bei Stadtrundgängen habe ich jetzt insgesamt 223 offiziell gelatschte Kilometer addiert, die individuell durch die Etappenorte spazierten wieder nicht mitgerechnet!

Weiter gehts! Wir sind gespannt auf jeden nächsten Kilo- und Höhenmeter.

Durchatmen.

Ruhetag in Xichang

Heute lassen wir es gemütlich angehen. Das haben wir uns nach den letzten Etappen auch verdient. Um neun Uhr stürzen wir uns ins geschäftige Treiben auf der Straße vor unserer Herberge und fallen hungrig in einer der reichlich vertretenen Frühstückslokale ein. Es gibt luftige Mantou, Baozi, Youtiao und Nudelsuppe natürlich. Besonders gut kommen die Fladen mit Taro-Füllung an. Allein die Wirtin und ihr Mann scheinen mit der Vielzahl an Gästen ein wenig überfordert. Wir hoffen sehr, dass sie morgen auf den Ansturm vorbereitet ist. Nachdem Frühstück begleitet Isabelle Hartmut in den Massage-Salon in der Hoffnung, dass seine Schmerzen dadurch ein wenig Linderung erfahren. Wir Übrigen machen uns auf die mingzeitliche (allerdings 2005 restaurierte) Stadtmauer zu erklimmen, um uns die Stadt von oben anzusehen. Auf Höhe des Hotels fängt uns allerdings die Dame des Hauses ab. Wir müssen noch einmal zurück. Die örtliche Polizei ist besorgt um unsere Sicherheit und spielt mit dem Gedanken, uns auf die Mauer zu begleiten. Zu unserem Schutz, versteht sich. Ein kleiner Wortwechsel mit den beiden freundlichen Beamten und unserer Zusicherung, dass es uns gut geht und wir uns bei Problemen umgehend bei der Polizei melden, reichen aus und wir erhalten die Erlaubnis alleine die Mauer zu besichtigen. 

Den eher symbolischen Eintrittspreis von 1 Yuan bezahlen wir gerne und feilschen nicht um Rentner-Ermäßigung  – obwohl das wahrscheinlich eine gute Gelegenheit gewesen wäre, die 5-Jiao-Scheine loszuwerden- und schlendern entspannt über das Bauwerk. Von hier oben hat man einen guten Überblick auf das alte diesseits und das  neue Xichang jenseits der Stadtmauer. Nach diesem offiziellen Teil verfolgt jeder seine eigenen Pläne. 

Unser Hotel liegt an einer der Magistralen, die durch die Altstadt führt. Bereits hier gibt es einiges zu entdecken: Vom Haushaltswarenladen über den Obststand und die Erdnussöl-Presse findet man hier alles was das Herz begehrt. Vor allem Apotheken, Metzgereien und Schnapsläden sind mehrfach vertreten. 

Ein wenig weiter oben haben wir sogar eine Art „Café“ entdeckt. Das heißt: Hier gibt es Cappuccino. Das müssen wir probieren. Leider werden unserer Erwartungen enttäuscht.  Das edle Gebräu wird nicht von einer italienischen Siebträgermaschine  erzeugt, im Gegenteil: Es handelt sich um eine Mischung verschiedener Pulver und Soßen, die mit heißem Wasser aufgegossen wird. Obendrauf landet ein kräftiger Schlag einer säuerlichen, schaumigen Masse, mutmaßlich ein Frischkäse-Sahne-Gemisch. Die süße, „hochkaloröse“ Plörre hinterlässt einen eigenartigen Geschmack und ein dumpfes Gefühl im Magen. Der unvorsichtige Genuss dieses Getränks löst vor allem bei Christine und mir ein Unwohlsein aus, dass sich bis in den Abend zieht.

Beim Abendessen kann Christine aber schon wieder genüßlich zulangen, während der Anblick der reich gedeckten Tisches mir heute ausnahmsweise mal keine besondere Freude bereitet.

In neblige Höhen

Knapp 100 km nach Xichang

Wir haben es also geschafft. Gestern.125 km durch die Berge, durch das raue Land der Yi. Auf einer Höhe von über 2000 m fühlt man sich dem Himmel viel näher. Oder der Hölle, denke ich mir, als ich aus bleiernem Schlaf erwache und mit bewusst mache, dass ich jetzt wieder auf`s Rad steigen, 100 km fahren werde. Und es geht noch höher hinauf, nämlich bis auf 3200 m heute.

Die allermeisten von uns hätten sich aber heute lieber ausgeruht, anstatt irgendwelche Rekorde aufzustellen. Aber der Plan ist ein anderer und so schwingen wir uns im morgendlichen Grau beherzt auf die Räder. Aus der Stadt heraus, durch die Ebene, in der Reisfeld an Reisfeld klebt, an winkenden Kindern vorbei, von den Alten misstrauisch oder eher verwundert beäugt. 15 Langnasen auf einmal sind hier, scheint’s, eher selten. Mit dem ersten Anstieg beginnt sich das Feld auseinander zu ziehen. Hans und Helmut setzten sich irgendwo an der Spitze ab und werden erst wieder kurz vor der Stadteinfahrt gesichtet.

So fährt jeder seinen Trott. Mittlerweile hat sich die Vegetation geändert. Kärger wird die Landschaft je höher wir steigen. Zuckerrohr, Tabak und Bambus werden durch Nadelgehölze abgelöst. Hie und da entdeckt man Pilzesammler oder eine kleine Imkerei. Meine Beine fühlen sich müde an. Xiao Luo ist besorgt und würde wahrscheinlich am liebsten jeden nötigen, in den Bus zu steigen. Verlockend ist das Angebot, aber ich bleibe standhaft. Elstern begleiten unseren Weg und lachen spöttisch. Es wird kühler und der Nebel verdichtet sich. Ein Gefühl als würde man in die Wolken steigen. Als Belohnung für die Quälerei reißt am Gipfel der Himmel auf und die Sonne erstrahlt. Außerdem erwartet uns ein deftiger Imbiss in Form von gegrilltem Schwein und Kartoffeln. Wir genießen den Snack und lassen uns dann auf rasanter Fahrt bergab rollen. Auf halber Strecke sammelt sich dann die ganze Gruppe wieder und wir gehen, gestärkt durch Nudelsuppe und Baozi, den Rest der Strecke gemeinsam an.


Die Theorie vom „Garmin-Träck-Fehler“, Sorgen vor den Höhenmetern und eine einmalig schöne Berg- und Tal-Landschaft

Anmerkung zu „Leibo – Zhaojue: 125.9km (+2139m, -1281m) am 189. Radweltreisetag“

Schon gestern beim Abendessen schwirrten die Streckeninfornationen der bevorstehenden „Horroretappe“ durch den Raum.
Zwischenfrage: Immer noch Radreise (laut CBB) oder doch schon eher eine Sportveranstaltung, z.B. ein Radrennen mit Bergwertung(en)?
Heute morgen vor der Abfahrt kochte die Info-Gerüchteküche immer noch.
Das wird ein hammerharter Radeltag über 125 Kilometer und mit heftig viel Höhenmetern. Aber wieviel genau und ab wann es richtg hinauf geht … Ein GPX-Track und sooo viele Fragen und noch mehr Mutmaßungen.

Der Reihe nach:
Laut CBB-Track-Vorgabe für den 6.10.2018 Leibo-Zhaojue werden 124.5 Fahr-km und +5159m, -4335m ausgewiesen.

Klingt utopisch, nicht? Der Himalaya ist ja garantiert nicht in der Nähe. 😉
Warum sind da eigentlich keine Geschwindigkeitsaufzeichnungen?
Haben wir es hier etwa mit dem bislang unentdeckten oder bisher ignorierten „Garmin-Träck-Fehler“ zu tun?
Daß es bis auf über 2140 m aufwärts geht, war schon erkennbar, aber wirklich erst nach ca. 42 gefahrenen Kilometern. Hm.

Dort fand sich neben der Schule des Ortes eine nette Nudelküche zur Stärkung (Kohlehydrate!) und der Ort der Entscheidung. Wer nimmt den Bus bis auf weiteres und wer radelt einfach weiter.
Isabelle hat über den Tag berichtet. Siehe unten.

Ich hab den Track auf dem GPSMAP64s verfolgt und hatte meinen Spaß damit. Die Richtung zum Ziel Zhaojue war im Prinzip stets eineindeutig, OK. Interessanterweise verlief der Track aber längere Zeit direkt in der Mitte des Flusses links unten (tief unten!) neben der Straße. Ich geh‘ mal davon aus, daß CBB den Weg vorher erprobt hatte und wir nicht die „Testpiloten“ waren, ob man(n) da überhaupt lang fahren kann. War also damals der Trail-Tester oder die Testerin hier womöglich einige Kilometer komfortablerweise mit dem Floß abseits der Straße unterwegs? Oder – bösartige Unterstellung meinerseits – ist der Track in Berlin an PC und Maus-Pad erzeugt worden und blöderweise mitten ins Flußtal verrutscht? Dieser Track tat sich darum insbesondere in den Angaben für’s Höhenprofil extrem schwer.
In dubio pro reo (lat. „Im Zweifel für den Angeklagten“ [https://de.wikipedia.org/wiki/In_dubio_pro_reo]).
Der Trail-Tester oder die Testerin hatte mit dem Navi evtl. wirklich Satellitenempfangsprobleme und zeichnete nur ungenaue Angaben auf. In dieser Schluchtenwelt jederzeit denkbar und zeitweilig am „Navi“ sogar sichtbar, wenn die nötige Satellitenzahl minutenlang unterschritten wurde.
Die Fotobeispiele mit den Profilangaben im Garmin und der Sicht „ins Gelände“ beweisen das für mich. Der „Berg“ im Track war in Wirklichkeit der links oder rechts der Straße.



Insider kennen die endlose Diskussion über die Genauigkeitsunterschiede zwischen Barometrischer Höhenmessung und GPS-basierter Höhenmessung [mehr dazu u. a. hier https://www.bergfreunde.de/basislager/hoehenmessung-mit-gps-oder-barometer/#]

„Um jedoch eine Angabe über die aktuelle Höhe zu erhalten, benötigt der Empfänger dazu das Signal von mindestens 4 Satelliten. Die Genauigkeit dieser geodätischen Triangulation der eigenen Position hängt zudem maßgeblich von der Qualität des Signals ab. Stehen viele Satelliten zur Verfügung, so erhält man ein gutes Signal, da sich der Empfänger die besten, also stärksten Signale raussuchen kann. Empfängt man jedoch lediglich genau vier Satelliten, so kann es sein, dass die Angaben über Position und Höhe sehr stark von den tatsächlichen Werten abweichen.

Das liegt daran, dass sich das GPS-Signal physikalisch ähnlich wie Licht verhält. Wolken schwächen das Signal ab, tiefe Schluchten können den Empfänger sogar komplett isolieren. Auch ein dichter Wald kann das Signal schwächen. Ebenso kann das Signal an Wänden reflektiert werden. Derartige Einflüsse stören das Ergebnis der Positions- und Höhenbestimmung mitunter so stark, dass unterschiedliche Laufzeiten vom Signalgeber zum Empfänger entstehen. Unter Umständen führt dies zu tatsächlichen Positionsabweichungen von bis zu 100 Metern.“
Aha! Ja. Wir radelten definitiv durch gigantische, beeindruckenden Schluchten.

Zurück zur CBB-Track-Vorgabe für Leibo-Zhaojue: 124.5 Fahr-km und +5159m, -4335m
Ergebnis am Tagesende laut Track-Aufzeichnung des GPSMAP64s: Leibo – Zhaojue.gpx: 125.9km, +2139m, -1281m
Auch nicht grad wenig, oder?
Mein Mini GPS maß:
Max Elevation: 2,140 m
Min Elevation: 458 m
3,294 kcal

Die Sorgen am Mittag vor den Höhenmetern waren mit Sicherheit berechtigt und jede(r) im Bus hat sich was gutes getan, nicht diesen Trail da hinauf zu radeln. Jede(r), die/der es trotzdem tat, hatte ein einmaliges Fahrerlebnis durch eine einmalige schöne Berg- und Tal-Landschaft sowie durch hochinteressante Orte mit kurzen Begegnungnen mit den Bewohner/Innen.
Hey, wir sind im Land der Yi (s.a [https://de.wikipedia.org/wiki/Yi_(Volk)], wie bereits im Yibin-Bilderbuch empfohlen).

Fazit: Laßt euch nicht von gpx-Track-Prognosen verunsichern. Schaut lieber selbst direkt nach indem ihr dahin radelt, auch wenn’s weh tut.
Ich merk‘ es besonders in den Waden u.a. beim Treppensteigen … 😉

Kommentarlinks für GPS-Höhenmeter-Erfahrungsberichte willkommen!