Bilderbuch am Ruhetag 3 – Vilnius

10 km Stadtrundfahrt mit dem Rad durch Vilnius

Heute nur ein bedingter Ruhetag, da wir uns für die Stadtbesichtigung auf unsere Räder schwingen. Hat Spaß gemacht, obwohl seit heute Berlin den Titel der radunfreundlichsten Stadt der Reise los ist. Da hilft auch ein spontanes Treffen mit dem Bürgermeister von Vilnius nicht, der erst gar nicht nachfragt, wie wir seine Stadt finden. „Ziemlich interessant“, wäre die Antwort gewesen, aber für Radfahrer nicht wirklich ein Paradies. Auch dank Warnwestenpflicht und Bürgersteigfahrerlaubnis. Selbst Uziopio, die Künstlerrepublik jenseits der Vilna (den Fluss, den die Polen aber anders als die Litauer nennen, aber das ist sowieso eine lange Geschichte, mit den Polen, den Litauern, den Deutschen und den Russen, die hier tatsächlich mal friedlich aber ziemlich ohne Berührungspunkte nebeneinander lebten. Einig waren sie nur in ihrem Hass auf die Juden der Stadt, die einst eine stolze Gemeinde in den Hunderttausenden waren und die wechselnden Besatzer und Herren kaum überlebt haben.)

Auf jeden Fall ein sehr interessanter Tag, der in einem Altstadtbiergarten endet, mit Wildbret und Bier.

Und einer Menge Fotos für die Galerie!

Jubel, Trubel, Heiterkeit

28 km von Trakia nach Vilnius, Sonne, kaum Wind und Verkehr, mit einer Bergprüfung am Ende

Wir sind in einer Zeitschleife gefangen. Ludmilla, die natürlich so wahrscheinlich nicht heißt, ist auf der Frühstückstation und hat wohl unter Breschnew gelernt. Käse. Wurst. Gurke. Auf dem Teller. Frühstück! Nachfragen werden mit einem genervten Augenrollen beschieden. Der Kunde ist König. Und der König ist tot. Wäre irgendwo am Ural ok, aber nicht in einem Dreisterne-Hotel für 60 Euro das Zimmer in einem EU-Land.

OK, genug gemeckert.

Weil es uns eigentlich gut geht. Trakai liegt fast schon schmerzhaft malerisch auf einer Halbinsel, hat zwei ziemlich amtliche und interessante Kirchen (1x katholisch, 1x orthodox) und ein noch spannenderes Wasserschloss, über fast das gesamte 20. Jahrhundert hinweg restauriert und heute absoluter Touristenmagnet. Was uns besonders auffällt, weil wir seit Berlin eigentlich kaum Touristen getroffen hatten. Heute also Sonntagsausflug für alle und besonders im Wasserschloss und der angeschlossenen Gastronomie.

Das Radfahren ist dann die leichteste Übung des Tages: knapp 28 recht flache Kilometer bis nach Vilnius, mit einer Bergprüfung kurz vor der Fußgängerzone und damit vor dem Hotel, die eigentlich nur Stefan gute Laune ins Gesicht zaubert (Ok, ich sehe das als neutral).

Dann rollen wir durch das Tor der Morgenröte in die Altstadt von Vilnius ein und nehmen unser Quartier in einem ehemaligen Kameliter-Kloster.

Und freuen uns auf den morgigen Ruhetag!


Das Weite suchen

111 km von Druskininkai nach Trakai, Sonne und Regen, Gegen- und Rückenwind.

Ein Tag in Litauen und schon vermissen wir Polen. Das Essen ist schlechter und teurer, die Straßen sind entweder stark befahren oder Sandpisten und auch das Wetter war bei unserem östlichen Nachbarn besser.

Nun gut, für das Essen am ersten Abend waren wir selbst verantwortlich. Müde vom Tag sind wir einfach in das Hotelrestaurant gegangen, was zwar keine Zumutung, aber eben auch keine Offenbarung war. Am zweiten Abend, glücklich in Trakai angekommen, war das Essen im Mojo Café ausgezeichnet. Was aber auch daran lag, dass es asiatisches Essen in einer ziemlich genialen kleinen Klitsche, geführt von einer Litauerin (Tresen, Kellnerin und Management) und einem Philippino (Koch) war. Die litauische Küche tendiert zum Fett, aber leider eher zum Öl als zum sorgsam integrierten Fleischfett, wie die polnische. Aber das ist eine Bestandsaufnahme, die sich in den nächsten Tagen auch noch ändern kann.

Heute ist zum ersten Mal auf der Tour Kilometerschrubben angesagt. Zumindest 50 Kilometer auf der A4, keine Autobahn, aber doch eine leidlich befahrene Bundesstraße. Kein Drama, aber wir sind trotzdem froh, als wir die A4 auf einem besseren Feldweg verlassen können, damit 10 Kilometer zum Preis von 15 km unasphaltiert abkürzen können und uns den Verkehr sparen. Der Gedanke kommt auf, dass die litauische Regierung diese Straßen bewusst nicht asphaltiert, um Autofahrer fernzuhalten.

Der Gedanke ist keine 10 Kilometer alt, als ein tiefergelegter VW Golf mit 120 Sachen an uns vorbeibraust, eine kilometerlange Staubwolke hinterlassend. Und der fromme Wunsch, diesen Golf mit Motorschaden ein paar Kilometer später wiederzusehen, wird uns auch prompt erfüllt.

Dann treibt uns ein Gewitter mit Rückenwind vor sich her, erwischt uns aber dann doch auf den letzten Kilometern. Der erste Regen der Tour (der erste Tag war ja Schnee!).

Durchnässt kommen wir in Trakai an, während der Himmel aufreißt, einen klaren Blick auf die Trakai umgebende Seenplatte freigibt und uns mit dem Tag versöhnt. Das Hotel ist Scheiße, das Abendessen umso besser.

Und an Litauen müssen wir uns immer noch gewöhnen.

Back to the USSR

96 km von Suwalki nach Druskininkai, immer noch Gegenwind, immer noch Sonne. Passt schon!

Der Abschied von Polen fällt schwer. Wir sind tatsächlich 900 Kilometer durch Polen gefahren, von West nach Ost, fast komplett verkehrsberuhigt, fast komplett asphaltiert, immer gut versorgt, mehr als gut genährt, lebergeschädigt und ziemlich begeistert. Wer von den geschätzten Leserinnen und Lesern nicht gleich um die Welt will mit dem Fahrrad, ist in unserem östlichen Nachbarland definitiv gut aufgehoben!

Es heißt also heute Abschied nehmen von Aleks, die uns mit dem Auto und sehr unkonventionell aber ebenso willkommen begleitet hat durch ihr Heimatland. Die Idee war, mir altem Knacker (OK relativ!) etwas frischen weiblichen Wind zur Seite zu stellen. Eben eine junge Frau, die frei von der Leber weg über Polen erzählt und bei Gelegenheit auch über das Land flucht, wenn wir mit glänzenden Augen über das Frühstücksbuffet staunen. Ganz viel totes Tier, sehr zum Leidwesen von Aleks, der Vegetarierin.

Es passte also alles in Polen, und es war ein wenig schade, dass wir den Kilometer 1000 erst nach der Grenze gefeiert haben, ganz ohne Büffelgraswodka.

Litauen also. Das Land macht sich zuerst einmal mit deutlich rücksichtloseren Autofahrern bemerkbar. Auch wenn mich polnische Freunde immer vor ihren Landsleuten am Steuer gewarnt haben: Wir haben selten so rücksichtsvolle Autofahrer erlebt als bei unseren östlichen Nachbarn.

In Litauen hingegen eifert jeder Sonntagsfahrer Michael Schuhmacher nach, und wir werden das Gefühl nicht los, dass sie sich hier nicht am Rennfahrer, sondern am Skifahrer Schuhmacher orientieren.

Dennoch kommen wir gut voran im ersten Land des Baltikums, die Straßen sind entweder grenzwertig oder genial, korrespondierend zur Verkehrsdichte, aber auch die hält sich in Grenzen.


Steter Wind höhlt den Kopf

97 km von Giżycko nach Suwalki, immer noch orkanartiger Gegenwind aber wenigtens wärmer und Sonne

Wenn nach einer epischen Gegenwindetappe am Tag darauf noch einmal fast 100 Kilometer gegen den Wind anstehen, der Blogschreiber dann auch noch mit Ente, Knödeln und Käsekuchen abgefüllt wird, dann darf es an so einem Tag auch einmal „nur“ eine Bildergalerie geben.

Unser letzter Tag in Polen, noch einmal zelebriert. Wir werden das Land vermissen!

Operation Pediküre

123 km von Olsztyn nach Giżycko, orkanartiger Gegenwind und ziemlich kalt

„Ich hatte mir einen Shiguli bestellt“, sagt Stefan, während wir friedlich nebeneinander durch die Masuren radeln. Ich bin kurz versucht, ihn zu fragen, wie er denn geschmeckt hat, bevor mir einfällt, was Stefan mir dann auch erzählt. Es geht um die Autobestellung in der DDR, und die 15 Jahre Wartezeit, die sich jedes Jahr um ein Jahr verlängerte. „Ich wollte einen 1500er, den 1600er gab es ja nur für Parteisekretäre, und das war ich ja nicht!“, erzählt Stefan weiter. Ich überlege kurz, was meine bulgarischen Schwiegereltern denn gefahren haben. Einen Lada, das weiss ich. Aber einen Shiguli? Und mit wieviel Hubraum?

Sachen, die man sich so erzählt, und über die man nachdenkt, wenn es 123 Kilometer bei eiskalten Temperaturen gegen den Wind geht. Die Etappe heute fordert uns mehr, als uns lieb ist, auch weil es unter dem Strich über 1.000 Höhermeter sind, die wir zu bewältigen haben.

„Können Sie auch Pediküre?“, fragt Michael Kessler, der konbescheuerte Hitlerdarsteller der Pro7-Mediensatire „Switch“, nachdem Oberst Staufenberg das Führerhauptquartier gestürmt hat, bewaffnet mit einem Maniküre-Set. „Operation Maniküre“ eben.

Unsere braune Vergangenheit steht bei Kilometer 93 auf dem Programm. Wir besichtigen die Wolfsschanze, weil sie auf dem Weg liegt. Disney für Militaristen. Wir wollen uns nicht vorstellen, was an „Führers Geburtstag“ hier so alles los ist. Und die Frage steht durchaus im Raum, warum es die deutschen Wehrmachtoffiziere zwar geschafft haben, halb Europa zu erobern und in Schutt und Asche zu legen, aber es nicht hinbekommen haben, eine Bombe vernünftig abzulegen und zur Explosion zu bringen.

Wie gesagt, Gedanken, die einem so auf einer schweren Radetappe durch den Kopf gehen.

Vor allem Kopfkino. Abgebildet in der heutigen Bildergalerie!

Bilderbuch am Ruhetag 2 – Olsztyn

Ruhetag in Olystyn

Wir lassen es ruhig angehen. Frühstück im 24-Stunden-Café um die Ecke, erstaunlich gut, mit Brotkörben für eine Portion, mit der wir alle satt werden könnten, leckeren Baguettes, gutem Kaffee aus einer Miele-Maschine (die mit der 15-Jahre-Garantie, wohl zu recht!).

Kopernikus hat auch in Olsztyn, damals noch Allenstein, gewirkt und war zweimal Domherr auf der Burg. Diese beherbergt nicht nur ein kleines, aber feines Museum, sondern auch die Reste seiner astronomischen Versuche, in feinen Linien in die Mauer gezeichnet.

Danach führt uns ein kurzer Spaziergang zur Jakobskathedrale. Die Besichtigung fällt jedoch recht kurz aus, da eine Gedenkfeier zu Ehren der Toten von Smolensk stattfindet. Man erinnert sich, vor acht Jahren stürzte der halbe Zwilling mit der halben polnischen Regierungsmannschaft ab – eine Steilvorlage für alle Verschwörungstheoretiker!

Wir hingegen haben keinerlei düstere Gedanken, genießen den radfreien Tag und strecken unsere müden Beine in die Sonne.

So kann es bleiben!

Die Suren des Herrn Ma…

…oder wie viele Höhenmeter passen in 50 Kilometer?

51 km von Ostroda nach Olstryn, Frühling, Wind und Sonne

So ganz fit sind Knochen und Muskeln nicht. Trotz diverser Entspannungsübung am Vortag, vor allem mit verschiedenen Wodkaderivaten, lässt die Gruppe doch den einen oder anderen Seufzer beim Treppensteigen von sich. Gut 700 Kilometer haben wir seit Berlin auf dem Sattel, und das Wetter ist zwar prächtig, aber auch erkältungsträchtig. Noch haben wir keine Ausfälle zu beklagen und wir kurbeln tapfer durch Polen, aber der Ruhetag kommt wieder einmal genau zur richtigen Zeit!

Heute haben wir endgültig die Masuren erreicht und fahren an vielen kleinen und größeren Seen entlang, fahren Hügel auf und Hügel ab, kumulieren immerhin 500 Höhenmeter auf der relativ kurzen Strecke und sind froh, am späten Mittag das Ziel erreicht zu haben. Das Schmutzbier (und einen Schmutzkaffee mit Käsekuchen) gibt es beim Griechen in der malerischen Fußgängerzone.

Danach ist Wäschewaschen, Nickerchen machen und die Nase in die Sonne strecken angesagt. Unsere Räder nächtigen wie wir in einer Weinbar. Die Räder im Keller, wir in den höheren Etagen.

Ein Abendspaziergang und eine Brauereibesichtigung zu kulinarischen Zwecken beschließen den Tag.

Morgen dann Ausschlafen bis zum Wecken.

Sonne ist angesagt!

Sandkastenspiele

114 km von Grudziadz nach Ostroda, Sonne, warm und das himmlische Kind aus der falschen Richtung

Sieht man mal vom ersten Tag ab, wurden wir bisher vom Wetter verwöhnt. Eine Woche ist es her, dass wir vom Brandenburger Tor losgeradelt sind, bei Schneetreiben, Eiseskälte und nasskaltem Wetter. Seit dem 02. April wird das Wetter Tag für Tag besser und der Wind trieb uns in angenehmer Stärke beständig in Richtung Osten. Über 500 Kilometer lang, bis heute.

Und ausgerechnet auf der ersten (von vielen) Königsetappen der Weltreise dreht der Wind und bläst uns die meiste Zeit kräftig ins Gesicht, oder, wenn wir Glück haben, nur in die rechte Seite.

Zu allem Unglück müssen wir auch erst einmal aus dem Weichseltal heraus. Das sind nur 100 Höhenmeter, aber die tun heute ein wenig weh. Am Ende der Tagesetappe werden es 700 sein.

Auf halber Strecke begrüßt uns der lokale Vertreter der nicht so anonymen Alkoholiker in der Dorfkirche. Als wir ihm von unser Reise erzählen, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen und murmelt die nächsten fünf Minuten „Oh no, oh no, oh no!“.

Ähnliches würden wir gerne rufen, als sich die potentielle Abkürzung als Sandkasten entpuppt und uns auf einen kleinen windintensiven Umweg schickt. Das alte Problem in Polen, das mich schon auf der Erkundung zur Verzweiflung getrieben hat: Die wenig befahrenen Nebenstraßen zu finden, die zwischen chaotischen Hauptstraßen und tiefen Sandpisten führen, ist wohl eine Lebensaufgabe (oder eine Frage der weiteren EU-Fördernung, die zumindest in den großen Strecken für eine teure, aber nicht immer sinnvolle Radinfrastruktur gesorgt hat).

Eins aber ist sicher: Vom Fahrverhalten der polnischen Autofahrer könnten sich die deutschen Kollegen so einiges abschneiden. Selten so viel Rücksicht als Radfahrer erlebt!

Nach guten 110 Kilometern Strecke rollen wir schließlich zum Seeufer in Ostroda und verbinden mal wieder Schmutzbier mit Abendessen. Mit tschechischem Bier in den Sonnenuntergang. Dazu böhmische Knödel und so manche tierische und vegetarische Sauerei. Man gönnt sich ja sonst nichts!

Und ganz ehrliche: Nach dem heutigen Tag haben wir es uns verdient!

Wechselwinde

80 km von Torun nach Grudziadz, Sonne und Wind, beides satt

Mehrere Blogtitel waren heute in der Verlosung: „Der wärmste Tag der Tour“ oder auch „Der schnellste Tag der Tour“. Ersteres stimmt zwar, aber dann hätten wir den Running Gag, am zweiten Tag tatsächlich in der Diskussion, schon damals starten sollen. Zutreffend ist das allemal. Wir fahren in den Frühling, das merkt man. Leider auch am Wind. Oder glücklicherweise.

Denn wir werden schon ein wenig vom Rückenwind verwöhnt. Auch heute, zumindest bis zur Mittag. In Chelmno recken wir die Nasen in die Sonne, ein Riesenbaguette in den Mund und lenken dann die Schritte in das Rathaus der Stadt, das durchaus spannende Exponate wie historische Osterpostkarten, und, nun ehrlich gemeint, tatsächlich ziemlich außergewöhnliche Wandmalereien ausstellt.

Am Nachmittag bläst der Wind dann in die falsche Richtung. Besser gesagt, wir biegen leider in Richtung Osten ein.

Immerhin, an der Weichsel lässt es sich wieder gut radeln!

Unser Ziel, Grudziadz, älteren Lesern noch als Graudenz bekannt, liegt so einladend in der Abendsonne, dass wir Duschen und Schmutzbier gegen eine kleine Stadtbesichtigung eintauschen, den neu gestalteten Schlossturm erklimmen, uns gegen die Weichsel verneigen und dann Schmutzbier und Abendessen ungeduscht vereinigen.

Passt schon!

P.S. Wir haben zwei riesige polnische Gerichte in der Bildergalerie versteckt.