Da ist doch der Regenwurm drin!

Ruhetag in Yibin, es regnet

Ich wache auf. Stockdunkel ist es im Zimmer, nur durch einen kleinen Spalt in den dicken Vorhängen fällt ein dunstiger Schimmer von Licht. Ich schließe die Augen und versuche das Geräusch auszublenden, das Geräusch von Regen, der auf bereits regennassen Asphalt platscht.

Unsere Gruppe hat merklichen Zuwachs bekommen. Ingemarie, Hermann und Helmut sind gestern aus Deutschland angereist und werden uns gemeinsam mit Isabelle bis Kunming begleiten.

Der kurze Weg zum Flughafen (um die Neuankömmlinge abzuholen), immerhin nur 5 km, war allerdings alles andere als einfach zu finden. Zuerst wurde unser Fahrer Xiao Lei von seiner Navigations-App, die kunstvoll auf dem Knie balanciert aus seinem Smartphone zu ihm sprach fehlgeleitet und wir landen in einer engen Unterführung, eingekeilt zwischen hupenden Fahrzeugen um schließlich in einer verschlammten Sackgasse neben dem Bahndamm zu stranden.

Irgendwie schafft es Xiao Lei uns aus dem Gassenwirrwarr heraus zu manövrieren und fährt dann wie der Teufel. Jetzt weiß ich, warum er mich gebeten hat mich anzuschnallen. Wir sind sogar 10 Minuten früher da als gedacht. Das Flugzeug allerdings auch und wir müssen nicht lange warten am Flughafen, der den Namen nicht ganz verdient, ähnelt er doch eher einer überdimensionierten Garage. Dafür übersichtlich: Ein Eingang, ein Ausgang, das war’s.

Neue Teilnehmer – neue Räder. Und alte, die es nur mit Ach und Krach, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes Krach, nach Yibin geschafft haben. Reinholds Radlager ist mittlerweile so zerstört, das es klingt, als hätte man ihm eine Menge Konservendosen ans Rad gebunden.

Das bedeutet heut steht einiges an. Feuerprobe für Isabelle, die die Gruppe für eine Stadtführung übernimmt, während ich mich um die Räder kümmere. Und Yibin hat einiges zu bieten an chinesischem Alltagsleben: windschiefe Altstadthäuschen und Ahnentempel, die zu Teehaus und Spielhalle umgewidmet wurden, stehen in krassem Kontrast zu futuristischen Yangtze-Brücken und hypermodernen Hochhäusern. In einem Stand baumeln friedlich frischgeschlachtete Gänse während ihre Leidensgenossen aufgebracht in Käfigen darunter schnattern. Kleine Garküchen reihen sich getrieblich aneinander. Der Duft von Sichuanpfeffer, Chili und frittiertem Tofu hängt tief in den Gassen.

Hans kann nach der Stadtbesichtigung übrigens fast ins Metzgergewerbe wechseln. Zuerst wurde ihm quasi am lebenden Objekt vorgeführt, wie man Gänsen den Hals umdreht und dann wie man Frösche köpft.

Am Nachmittag steht allgemeines Begutachten und Pflegen der Räder an. Alles findet in der hoteleigenen Tiefgarage statt, einem staubigem Bunker mit Schlaglicht an verschiedenen Stellen. Könnte auch eine Szene aus dem Film „Underground“ sein. Zwischen dem ganzen Werkeln und Schrauben der nächste Schreck: Hartmut hat vor Freude über das frischgedruckte Geld seine Bankkarte im Automaten stecken gelassen. Xiao Lei und Isabelle kümmern sich darum und Hartmut erlebt sein ganz persönliches chinesisches Abenteuer.

Gegen 7 treffen wir uns wie gewohnt zum Abendessen.

Yibin

Bilderbuch am 185. Radweltreisetag in Yibin, wie gewohnt an einem sommerlichen Regentag

Yibin (chinesisch 宜宾市) ist eine bezirksfreie Stadt im Südosten der südwestchinesischen Provinz Sichuan. Das gesamte Verwaltungsgebiet von Yibin umfaßt ungefähr ein Quadrat von 150 x 150 km und in ihm wohnen ca. 4,5 Millionen Menschen. Im eigentlichen städtischen Siedlungsgebiet von Yibin leben ca. 550.000 Menschen.
Der Chang Jiang (Yangtze) hat von Yibin bis zum Meer noch ungefähr 2900 km vor sich.
Im „Worldatlas“ sieht man gut, wo wir gerade sind (https://www.worldatlas.com/as/cn/51/where-is-yibin.html)

Das Gebiet des heutigen Yibin lässt sich schon vor mehr als 2000 Jahren als ein Kreis namens Bódào (僰道县) nachweisen. Es ist nicht ganz eindeutig, ob der Kreis schon während der Qin- oder erst während der Westlichen Han-Dynastie gegründet wurde, aber gesichert ist, dass er im Jahre Jianyuan 6 des Kaisers Han Wudi, also 135 v. Chr., zur Präfektur Qiánwéi (犍为郡) gehörte. Im Jahre Datong 10 des Kaisers Liang Wudi, also 544 n. Chr. wurde auf dem Gebiet des heutigen Yibin der Verwaltungsbezirk Róngzhōu (戎州) gegründet. Zur Zeit der Nördlichen Zhou kam dann noch der Kreis Wàijiāng (外江县) hinzu, der während der Sui-Dynastie seinen alten Namen, Bódào, zurückerhielt. Im Jahre Zhenghe 4 der Nördlichen Song, also 1114, wurde Róngzhōu in Xùzhōu (叙州) und der ihm unterstehende Kreis Bódào in Yíbīn (宜宾县) umbenannt. Bis zum Ende der Qing-Dynastie hieß das Gebiet der heutigen Stadt Yibin, mit Ausnahme der Kreise Jiang’an und Pingshan, Xùzhōu.

Am 5. Oktober 1996 beschloss der Staatsrat der VR China, den Regierungsbezirk Yibin und die kreisfreie Stadt Yibin aufzulösen, auf dem Verwaltungsgebiet des ehemaligen Regierungsbezirks die neue, bezirksfreie Stadt Yibin zu errichten.

Yibin ist stolz auf seine Universität und die präsentiert sich sehr selbstbewußt der ganzen Welt, natürlich auch in english:
http://www.yibinu.cn/ENGLISH/Home.htm

Sehenswertes im Stadtgebiet [https://www.tripadvisor.com/Attractions-g679673-Activities-c49-Yibin_Sichuan.html]:
Auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China stehen u.a. alte Gebäude auf dem Zhenwu Shan (ein Daoistischer Tempel aus der Ming-Dynastie u. a.) sowie die Huangsan- und die Shichengshan-Felsgräber aus der Song- bis Ming-Zeit

Unser Stadtbummel durch die engen Straßen in der Umgebung des Hotels vermittelt einen Eindruck in den Alltag. Eine Straße mit Verkaufsständen mit Geflügel, kleinen Aalen und Fröschen wie hier, war uns bisher in China noch nicht begegnet.
Nun ja, der Name der Stadt weist darauf hin, daß wir uns dem Siedlungsgebiet der Yi nähern [https://de.wikipedia.org/wiki/Yi_(Volk)]. Da gibt es halt die eine oder andere Leckerei, die wir nicht gewohnt sind.

Das Yibin Museum ist nur 5 Minuten vom Hotel entfernt und kostet keinen Eintritt. Bestimmt viel wissenswertes und interessantes aus Geschichte und Gegenwart wird da präsentiert, aber leider alles wichtige nur chinesisch.
Die Fotos und Illustrationen sind trotzdem sehr informativ, z.B. über die Felsgräber, die wir nicht direkt besichtigen können.

Für alle, die auch nach 22 Uhr unseren Reiseblog lesen dürfen, unser heutiges Special: Von diesen „Visitenkarten“ bekamen wir gestern Abend eine bemerkenswert vielfältige Auswahl unter die Hotelzimmertür geschoben:

Angeblich hat keine(r) da zurückgerufen … 😉
Für die Damen der Gruppe war leider eh nix attraktiv alternatives dabei. Macholaden verflixter! Räusper.

Mir fielen dazu diese Zeilen von Robert Gernhardt wieder ein:

Faires Angebot

Komm, Lust, und leg dich, schlafe ein,
Du wirst schon wieder wach.
Bleib eine Zeitlang flach,
Dann wirst du wieder tiefer sein.

Komm, Lust, und lass dich, hetz dich nicht,
Du wirst schon wieder mehr.
Bis dahin: schlaf! Nur wer
Sich nicht berührt, verletzt sich nicht.

Bleib dunkel, träume was du magst,
Schlag Salti, fliege, trau dich raus,
Verschweig, was du vermengst.

Wir warten, bis du wieder tagst,
Und uns – versprochen, altes Haus? –
Die alten Nächte schenkst.

Bilderbuch auf: