Fast ein anderes Land

Tag 219 der Radweltreise, 52 km von Mengla nach Mohan. Wetter weiterhin ideal

Noch 52 km bis Laos!

Noch 40 km bis Laos!

Noch 30 km bis Laos!

Nur noch 20 km bis Laos!

Nur noch 10 km bis Laos!

Gleich sind wir da, nur noch 1 km und eine Nacht bis Laos.

Mohan, die Grenzstadt, ist immer noch ziemlich verschlafen. Die chinesisch-laotische Eisenbahn wird hier bald halten, im Projekt „Neue Seidenstraße“, eigentlich ja „一带一路 One Belt, One Road“ spielt dieser Grenzübergang eine große Rolle. Hier werden die Güterzüge nach Südostasien durchrollen, und vielleicht wird es auch mal was mit dem „Highway Kunming-Singapur“, der bereits 2003, bei meinem ersten Besuch auf großen Werbetafeln angepriesen wurde.

Vor 15 Jahren habe ich die Etappe so beschrieben, ein Text, der später Teil meines Buches Ein Bus namens Wanda wurde:

Große Welt – Ende der Welt

Rund 1.000 Bauarbeiter auf 50 Kilometern, die Sand von einer Seite der Straße auf die andere schaufeln und Körbe gefüllt mit kleinen Kieseln oder große Granitboliden von A nach B tragen. 1.000 Bauarbeiter, das sind 500 Mal „Hello!“, 250 Mal Kichern und mindestens 50 Einladungen zum Essen, Trinken oder einen Plausch. Ein paar Mal bin ich abgestiegen, habe ein paar Fragen zu Herkunft, Ziel und dem Warum meiner Reise beantwortet, mindestens ebenso oft erklärt, warum ich Hitler nicht toll finde, keinen Benz fahre und noch keine Kinder habe. Aber das hatten wir ja schon. Zu mehr war keine Zeit. Laos ruft, ich freue mich auf ein anderes Land, andere Gespräche, anderes Essen. „Laos ist rückständig!“, war der Tenor der Bauarbeiter, die meist bis zu den Knöcheln im Dreck standen und deren ärmliche Hütten auch nicht gerade Luxus verströmten. Aber in China definiert man sich nun mal gerne über die Nation, nicht das eigene Schicksal, zumindest wenn letzteres nicht allzu rosig aussieht. „China mit seiner über 5.000 Jahre langen Geschichte!“ ist dann zuweilen auch der stolze Ausspruch von Menschen, die außer Nationalgefühl nicht viel zu bieten haben. Dieses wird von der Regierung auch gerne gehegt und gepflegt. Wer stolz auf sein Land ist, kritisiert eben weniger.

Seit Mengla, meiner letzten Übernachtungsstation, bin ich fast 50 Kilometer von Schlagloch zu Baugrube gehoppelt. Kurz vor Mohan, der Grenzstadt zu Laos, erstreckt sich dann eine vier Kilometer lange rote Schlammwüste, wo einst eine Straße war. „Hier entsteht das große internationale Handelszentrum an der Autobahn Kunming-Bangkok“ steht in Mohan auf einer großen Propagandatafel, die der einzige, dafür aber sehr dick aufgetragene Farbkleckser in einer roten Schlammlandschaft ist. Entlang der Hauptstraße, das ist der Teil des Ortes, an dem der Schlamm planiert ist, nagen sich große Bagger durch Hauswände. Von einem der Gebäude hängt noch ein Schild „Hotel, Zimmer mit Dusche und WC“. Soviel zu meinen Übernachtungsoptionen. Der Lonely Planet meinte noch lapidar „In Mohan sollte es einfache Übernachtungsmöglichkeiten geben“, chinesische Reiseführer und das Internet kennen Mohan erst gar nicht.

Ich stelle mein rotbeschlammtes Fahrrad ab, setze mich in eine simple Garküche, an deren Wänden schon das rote Schriftzeichen „Zhai“ den bevorstehenden Abriss ankündigt, und bestelle mir ein Bier. „Qingdao, Dali, Mekong, Singha oder Beer Lao?“, fragt die Chefin mich. „Qingdao haben wir in der Light, Superlight und in der klassischen Version, Mekong ist nur die Sorte mit 11 Prozent Stammwürze da, Singha und Lao sind importiert und daher ein wenig teurer!“ Konstaniert bestelle ich das Mekong-Bier, dass in der stärkeren Version sonst nur schwer erhältlich ist und zu den besten in Yunnan gehört. Chinesen bevorzugen meist eher dünnes Bier, manchmal mit gerade 6 Prozent Stammwürze und weniger als zwei Prozent Alkohol. Macht nicht dick und geht weniger in die Birne, hat mir ein chinesischer Geschäftsmann mal erklärt und mich dann erst auf ein üppiges Essen und dann ein paar hochprozentige Schnäpse eingeladen. „Wie kommt es, dass Du so eine große Auswahl hast?“, frage ich die Chefin, die sich sofort zu mir an den Tisch setzt. „Eigentlich sind die Lieferungen schon für das Logistikzentrum bestimmt.“, antwortet sie. „Das wird aber nicht vor nächstem Jahr fertig sein. Solange nehme ich alle Waren ab, die sich gut verkaufen. Importiertes Bier ist da nicht die schlechteste Wahl, und auch das Qingdao ist eigentlich für den Export nach Thailand!“ Ich schaue mich ein wenig in der Auslage um. Da steht zehn Jahre alter französischer Rotwein, auf welchen Wegen auch immer über Laos importiert, vietnamesische Bananenchips, thailändische M-150, eine potente Red-Bull-Variante. Die Chefin selbst kommt aus Sichuan, der Provinz im Norden von Yunnan und hat als Spezialität Sichuan Hotpot, richtig zubereitet ein direkter Angriff auf die Schärfetoleranz eines jeden Uninitierten, im Angebot. Der lässt sich als Einzelreisender aber nur sehr schlecht genießen, und so wähle ich in Chili, Schnaps und Essig eingelegtes Gemüse als Vorspeise, fritierte Bohnen mit Knoblauch und Hühnergeschnetzeltes mit Fischgeschmack, das weniger nach Flossenträger schmeckt, als vielmehr eine angenehm scharf-saure Note hat. Yuxiang, mit Fischgeschmack, gibt es in vielen Ausführungen, als Tofu, Aubergine, Schwein oder Kuddeln, und ist die Quintessenz der Küche Sichuans: Frisch, reicher Geschmack, sich ergänzende Gewürzvariationen. Ein perfektes letztes Essen im Reich der Mitte!

Am Nebentisch sitzen einige junge Männer in Uniform und tauchen kleine Gemüse- und Fleischstückchen in einen Fonduetopf mit infernalisch scharf aussehender Brühe.
„Guten Morgen“ begrüßt mich der Truppführer, zumindest halte ich ihn dafür, da seine Epauletten auf jeder Schulter drei umrandete Sterne schmücken, auf Deutsch. Tageszeitlich nicht ganz korrekt, aber doch ganz gut ausgesprochen. „Habe ich von anderen Deutschen gelernt“, erzählt er, als ich sein Deutsch komplimentiere. „Ab und zu kommen hier ja mal welche vorbei.“ Ich bringe ihm auf Nachfrage noch „Frohes Neues Jahr“ bei, ein Ausdruck, an dem er sich sichtlich verschluckt.

„Die Straßen in Laos sind schlecht“, warnt er mich. „Noch schlechter als auf den letzten 50 km?“, frage ich ihn unvorsichtiger Weise. Das verletzt sichtlich seinen Nationalstolz. „Wir bauen hier den Highway Kunming-Singapur!“ „Gaosugonglu“, Highway, sagt er mit betontem Stolz. „Dann haben wir einen Hafen für chinesische Güter in Südostasien!“ Tatsächlich ist es ein großes Problem für Chinas Exportwirtschaft, dass alle chinesischen Güter, die für den europäischen oder arabischen Markt bestimmt sind, ebenso wie die Öltanker aus den Golfstaaten den weiten Weg durch das südchinesische Meer bis bzw. von Singapur machen müssen. Ein chinesischer Hafen am Indischen Ozean würde dieses Problem lösen. Nicht umsonst versucht die chinesische Führung, ihren Einfluß auf Myanmar (Birma) auszuweiten und baut bereits mit Hochdruck an einer Bahnverbindung von Dali zur birmesischen Grenze. Singapur wäre dazu bei entsprechendem Ausbau der Handelswege von China durch Laos, Thailand und Malaysia eine entsprechende Ergänzung

Der gute Truppführer der hiesigen Zollstation hat bei der letzten Politschulung also gut aufgepasst. Ob er weiss, dass der Highway spätestens nach einigen Kilometern in Laos in einer zur Regenzeit unpassierbaren Piste endet?

Die Frage verkneife ich mir und frage ihn lieber nach einer möglichen Unterkunft in Mohans. „Du suchst ein Hotel?“, fragt mich der Truppführer, und ich erwarte bereits eine Einladung in den Schlafsaal der Zollstation. „Fahr zurück an die zentrale Kreuzung (zentraler Schlammhaufen liegt mir auf den Lippen), halte Dich dann links und nach 200 Metern bergauf findest Du ein ausgezeichnetes Hotel! Es hat gerade erst eröffnet!“ Das klingt gut, ich zahle, schwinge mich auf’s Rad und stelle gleich darauf fest, wo die Bulldozer nach getaner Arbeit umdrehen: Auf der Hotelzufahrt. Rotgeriffelter getrockneter Dreck führt mich zu einem modernen, vierstöckigen Gebäude, das von außen schon einmal ganz gut aussieht.

„Shanghai Business Hotel“ steht über dem Eingang in großen Schriftzeichen. Die Preise an der Rezeption verheißen nichts Gutes. 60 RMB kostet das teuerste Zimmer, das klingt verdächtig nach Bruchbude. Die Dame an der Rezeption sieht meinen skeptischen Gesichtsausdruck und ergreift die Initiative: „Weil Du es bist und wir noch nicht so viele Gäste haben, kostet es nur 40 RMB!“ „Mit Bad und WC?“, frage ich. „Mit Bad, WC, Balkon und Klimaanlage!“ erwidert sie. Das überzeugt mich, vor allem, weil es ja sowieso keine Alternative gäbe. In ihrer Zimmerbeschreibung hat die Rezeptionsdame den dunkelbraunen Holzfußboden, das King-Size-Bett und die Spitzengardienen an den Fenstern vergessen. Ich lasse mich nach einer ausgiebigen Dusche zufrieden auf das riesige Bett fallen. Vor dem Fenster zwitschern bunte Vögel. Die Sonne geht in einem grellroten Feuerball über den Wipfeln tropischer Baumriesen unter und taucht den Raum in ein angenehmes Licht. Angenehm entspannt liege ich auf meinem Bett und fühle mich pudelwohl. Mir fallen die Augen zu und ich döse ein.

„Peng!!!“ Ich schrecke hoch. Noch einmal fällt eine Tür ins Schloß. Dann klopft es. Gleichzeitig klingelt das Telefon Sturm? Feuer? Sonst irgendeine Katastrophe? Ich nehme den Hörer ab und höre ein bemüht erotisches Säuseln. „Hallo mein Herr, willst Du ein Fräulein?“ Jetzt wir Einiges klar. Shanghai Business Hotel! Bei uns heißen Bordelle ja auch „Bangkok“, „Pattaya“, „Pascha“, „Ballermann“ oder schmücken sich mit sonstigen, für das potentielle Klientel wohlklingenden Namen. Shanghai verspricht da wohl für dem chinesischen Geschäftsmann aus der Provinz auch Abenteuer und großer Welt. Und das Business im Namen macht nun auch Sinn. Und selbiges läuft ausgezeichnet. Im Minutentakt knallen die Türen, lautes Stöhnen aus den Nebenräumen klingt durch die Musikfetzen, die aus der Karaokebar dringen.
„Mein Liebesvogel ist noch nicht gekommen“ (Aiqing Niao), klappt da durch die Tür, eine schnelle Nummer im Diskobeat, „Die wilde Blume“ (Yehua), eine an sich sehr schöne Balade, von einer schrillen Frauenstimme vergewaltigt, und dann noch „Fröhlich im Schmerz“ (Tongbing Kuaile), entgegen der Titelzeile eigentlich eine recht lahme Nummer, vor allem, wenn sie von einem angetrunkenen Karaokegast zerlallt wird. Wieder klingelt das Telefon. „Xiansheng, nihao! Yao bu yao xiaojie?“ Also das selbe Säuseln. Oder eher das gleiche, da sich nun eine andere Dame bemüht. Eine dritte Kollegin klopft gleichzeitig an meine Tür. Nun bin ich langsam wach und vor allem neugierig. Ich schlürfe zur Tür und öffne sie. Davor steht eine Mischung aus Ingrid Steeger und Hella von Sinnen mit Schlitzaugen, gebleichten Haaren, leicht gewandet in einem Miss-Piggy-Outfit. „Nein, danke!“, sage ich und knalle die Tür zu. Und greife nach dem besten Verhütungsmittel, das ich kenne: Ohropax. Von der Karaoke bleibt nur ein Summen, zusätzlich stöpsle ich das Telefon aus und hänge das „Nicht Stören!“-Schild an die Tür. Gegen Mitternacht wird dann auch das Türschlagen seltener, so dass ich langsam wieder in den Schlaf finde.

„Macht 40 RMB für das Zimmer und dann noch 5 RMB Konsum aus der Minibar!“, deklariert die Rezeptionsdame am nächsten Morgen beim Auschecken, in einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. „Was soll ich denn konsumiert haben, Genitaldesinfektionstuch, Ephidrine oder Kondome?“, frage ich und wundere mich, dass ich mir sowohl den nicht flüssigen Inhalt der Minibar als auch den Namen für Genitaldesinfektionstücher auf Chinesisch gemerkt habe. „Du hast ein Kondom benutzt!“, bekomme ich zur Antwort. „Kannst Du mir auch sagen, mit wem?“, frage ich und halte mich für klever. Prostitution ist in China immer noch illegal, wenn auch äußerst weit verbreitet. Offiziell würde sie nie zugeben, dass sie Concierge in einem Puff ist. „Ist mir doch egal, auf jeden Fall fehlt ein Verhüterli.“, entgegnet sie. Wobei sie natürlich nicht Verhüterli sagt, sondern Xiao Lili, was in etwa so wäre, als würde man Kondome in Deutschland Heidi nennen. Gehört habe ich den Ausdruck noch nicht, ich kenne Biyun Tao, Anquan Tao, Weisheng Tao oder einfach nur Taozi. So siegt der Linguist in mir über den Dogmatiker und ich bezahle das nicht genutzte Kondom. „Dann würde ich aber auch gerne ein Genitaldesinfektionstuch mitnehmen!“, insistiere ich. „Nur für Hotelgäste!“, sagt sie trocken, und ich habe ja schon ausgecheckt.

Auf dem Weg zu Grenzstation muss ich noch einmal durch die Bulldozer-Wendestation. Jetzt stehen da zwei chinesische Arbeiterinnen und wässern den Schlamm. Das macht die Sache nicht einfacher. Die Grenzestation erreiche ich daher mit einer leichten Schlammkruste in Rot, säuberlich über Rad und Kleidung verteilt.

Die Zollbeamten, die ich bereits vom Abendessen gestern kenne, fertigen mich schnell und unkompliziert ab. So unerwartet unkompliziert, dass ich vor lauter Schreck meine Geldtasche und den Pass auf dem Counter liegen lasse. Nach etwa 500 Metern und dem ersten „Sawadii“ einer Laotin, die ihrem kleinen Kind einen Ausländer zeigt und es zum Grüßen animiert, bemerke ich es und dreh hastig um, abwärts durch dicken roten Schlamm, den die (immer noch chinesischen) Arbeiter einmal quer über die Straße verteilt haben. Zurück an der Grenze kommt mir bereits der Zöllner entgegen. „Erst wollte ich Dir jemanden hinterherschicken; dann habe ich mir aber gedacht, Du merkst das schon!“ Und lacht schelmisch. Nachdem ich die Tasche sicher verstaut habe, starte ich den zweiten Versuch, nach Laos zu kommen. Ein zweites „Sawadii“, diesmal von dem Kind, dass ja nun weiß, wie ein Ausländer aussieht: Kreideweiß und mit rotem Schlamm besprenkelt.

Heute keine Bulldozer, keine Bordells mehr und der große Boom ist auch ausgeblieben.

Darauf ein Beer Lao!

Wer Lust auf mehr hat: Das Buch Ein Bus namens Wanda, der meine Erkundungsreise entlang des Mekongs beschreibt, gibt es als Ebook, und zwar hier:

Ein Bus namens Wanda

Weil sie da sind…

Tag 218 der Radweltreise, 96 km von Menglun nach Mengla, letzte chinesische „Königsetappe“. Gut 1.600 Höhenmeter bergaus und fast so viele wieder bergab. Weiterhin ideales Radfahrwetter.

Vom Bergabfahren redet man ja immer nicht. Das nimmt man einfach so hin. Als Belohnung für die vorangegangenen Strapazen am Berg. Als physikalische Notwendigkeit. Wo ein Auf, da auch ein Ab.

Und eben auch umgekehrt.

In den Anfangstagen von China By Bike hatte ich einmal eine Teilnehmerin, die die Berge wie eine Bergziege hinaufflog, um dann bergab zu schieben. Angst vor der Geschwindigkeit! Und bei Abschlussrunde am letzten Abend unser ersten Radreise sagten mehrere Teilnehmer, wenn sie gewusst hätten, wie anstrengend die Tour werden würde, sie hätten sie nicht gemacht. Und wie glücklich sie seien, dass sie es nicht gewusst haben, sonst hätten sie eine tolle Reise versäumt.

Schließlich sind es ja genau die epischen Bergetappen, die ungeplanten Ereignisse, die spontanen Ideen, die in Erinnerung bleiben. Jedenfalls länger, als der Muskelkater anhält.

Der Gruppe ist am Morgen der Respekt vor dieser Etappe anzumerken. Schließlich haben alle mindestens gute 20.000 Höhenmeter in den Beinen, allein in China. „Gut zu fahren, nicht zu steil“, erzähle ich am Morgen und der eine oder die andere schaut mich skeptisch an. Zugegeben, wir haben unseren Teilnehmern in Chinas konditionell einiges abverlangt, vielleicht zu viel? Die Bergetappen zwischen Yibin und Jinghong sind immer noch Gesprächsthema, wenn auch so langsam bei dem einen oder der anderen romantisch verklärt. Und eine gewisse Schadenfreude war der Gruppe anzumerken, als ich mich die ersten Tage mit Jetlag und Müdigkeit über die Berge gequält habe.

Nun sind alle fit und tatenfroh, die Zweifel sind schon auf dem Weg zum ersten Pass verflogen, wir haben Kaiserwetter auf der Königsetappe, kaum Verkehr und es rollt gut. So gut, dass ich heute kaum Bilder gemacht habe. Nach rekordverdächtigen acht Stunden trotz ausgiebiger Mittagspause rollen wir am Hotel vor, gönnen uns ein kühles Schmutzbier und einen Schmutzkaffee und sind uns einig: Eine wunderschöne Etappe.

So nahe liegen Schmerz und Freude zuweilen zusammen!

Zwischen Berg und tiefem tiefem Tal … (Satire gehört auch zu einer Radweltreise)

Hallo Blogleserinnen und -leser an den Bildschirmen im Büro und zu Hause.

Seid ihr schon mal 100 km am Stück an einem Tag geradelt? Die meisten bestimmt, oder? Oder doch nicht?
Auch schon mal einen richtig hohen Berg hinaufgeradelt? Schieben gilt nicht! Aber sicher doch. Auch über mehrere hundert Meter hoch auf einen Rutsch, zum Beispiel über einen Paß? Ja? Na also.
Auch mal gleich 3 Pässe an einem Tag hintereinander? Naja, nicht alle von euch, aber doch einige, oder?

Volker wird noch über unseren heutigen Radeltag von Menglun nach Mengla berichten.
Das war nämlich so ein „98.4km +1615m -1516m über 3 Pässe“-Tag.
Grafisch sieht das dann so aus:


Das radelt die Gruppe zwischen 8.15 Uhr und 17 Uhr rauf und runter. Ich „muggel“ da immer weit hinterher, würde unsere Hamburger Radelfreundin Locke es treffend beschreiben, aber die anderen sind da meist sehr geduldig.
Wenn ich keinen Bock auf permanentes Bergauffahren hatte, war der kleine Bus zur Stelle. So eine zusätzliche „Auszeit“ tut auch gut. 🙂
Ich hab einen riesigen Respekt und ganz viel Ehrfurcht, wie die anderen alle mit viel weniger Bus-„Pausen“ die Berge hinaufstrampeln.
Chapeau! Reinold muß ich hier unbedingt explizit erwähnen, der Tag für Tag zäh und stets mit seinem liebenswürdigen Lächeln jeden Berg bezwungen hat und das Innere des Busses nur braucht, um sich dort z.B. einen Apfel zu holen!

Hier eine kurze Zusammenfassung der Tagestouren seit Ybin (3. Oktober) bis Jinghong (31. Oktober):

Yibin-Suijiang: 92.8km, +982m, -776m
Suijiang-Guixi: 74km, +504m, -519m
Guixi-Leibo: 76.7km, +1592m, -675m
Leibo-Zhaojue: 125.9km, +2139m, -1281m (s.a Blog „Träck-Fehler …“ )
Zhaojue-Xichang: 101.5km, +1411m, -1876m
Xichang-Puge: 81.1km, +1297m, -1415m
Puge-Qiaojia: 84.5km, +919m, -1502m
Qiaojia-Dongchuan: 111km, +1511m, -1198m, im Minibus aber auf demselben Trail aufgezeichnet
Dongchuan-Hongtudi: 47.8km, +1575m, -263m, im Minibus aber auf demselben Trail aufgezeichnet
Huangtudi-Xundian: 89.8km, +1275m, -1919m, im Minibus aber auf demselben Trail aufgezeichnet
Xundian-Shilin: 121.8km, +1416m, -1495m, im Minibus aber auf demselben Trail aufgezeichnet
Shilin-Huaning: 113.5km, +1251m, -1401m, ca. 35 km im Minibus aber auf demselben Trail aufgezeichnet
Huaning-Jianshui: 111.8km, +1063m, -1382m
Jianshui-Yuanyang: 78.7km, +808m, -1826m
Yuanyang-Titian: 38.6km, +1576m, -84m
Titian – Lvchun: 98.4km, +1767m, -1862m (alle im Bus, aber auf anderem Trail aufgezeichnet, Höhenmeter unten nicht mit gezählt)
Lvchun-Daheishan: 102.5km, +957m, -2069m
Daheishan-Jiangcheng: 62.9km, +1476m, -841m
Jiangcheng-Kangping: 62.5km, +983m, -1113m
Kangping-Chabolanyuan: 82.7km, +1868m, -1186m
Chabolanyuan-Sanchahe: 109.7km, +1165m, -2034m
Sanchahe-Jinghong: 44,3km, +576m, -644m

Summasummarum = 26.044 Höhenmeter (im Durchschnitt also rund 1300 pro Radeltag) an insgesamt 20 Radeltagen mit 3 Ruhetagen dazwischen.
Uff.
Der ursprünglich vorgesehene Titian-Tagesausflug (43.1km, +764m, -753m) hatte nicht ganz so stattgefunden.
Dafür gab es alternativ/zusätzlich (aber nicht mit allen) die Titian-Xinjezhen_Mittagstour: 21.8km, +354m, -342m.
Ich hab beide oben nicht mitgezählt.

Die Bildchen mit den Tagesprofilen sagen mehr als alle Worte (hoffe ich).
Profilnotizbuch auf:


Ich gebe zu, mich haben diese Anforderungen überrascht, u.a. weil ich mich vorher nicht umfassend auf dem Weltatlas über die „Geografie“ informiert hatte. Tja, Volkers Hinweis, daß wir ja über die Ausläufer des Himalaya radeln, stimmt.
Meinereiner hatte sich zu sehr auf die Reiseinfos des Veranstalters verlassen.
Da steht zum Beispiel sowas: (http://around-the-world.bike/reiseverlauf/transasien-teiletappe-xian-singapur#Details)
„…
Allgemeine Informationen
Konditionelle Anforderung
Unsere Tagesetappen von durchschnittlich 80 bis 160 Kilometern sind für jeden Radler, der über ein wenig Tourenerfahrung verfügt, zu schaffen. Wichtig für uns ist, nicht in Rekordzeit das Tagesziel zu erreichen, sondern miteinander zu reisen, und es wird für uns kein Problem sein, auf nicht ganz so starke Fahrer und Fahrerinnen Rücksicht zu nehmen. Wir wollen die Städte und Landschaften erfahren und uns mit der Geschichte und Gegenwart so verschiedenartiger Regionen auseinandersetzen.“

Oder im allgemeinen Teil (http://china-by-bike.de/reiseland/infos.php#kondi)
„…
Konditionelle Anforderungen
Unsere Radtouren sind für Leute geeignet, die über eine mittlere bis gute körperliche Kondition verfügen. Das Streckenprofil verlangt keine sportlichen Höchstleistungen, ist aber für gänzlich untrainierte Radfahrer weniger geeignet. Zu Ihrer Orientierung sind die Touren in drei Kategorien eingeteilt, abhängig von durchschnittlicher Länge und Geländeprofil der Etappen; die Tagesausflüge gelten dabei nicht als Etappen. Die Einteilung erfolgte aus den Aufzeichnungen mittels GPS.
– Geruhsames Radeln auf großteils ebenen Strecken. Streckenlänge im Schnitt unter 40 km und unter 400 Höhenmetern pro Tag.
– Etappen sind länger und es sind Steigungen zu überwinden. Streckenlänge im Schnitt um 60 km und unter 800 Höhenmetern pro Tag.
– Anspruchsvolles Radeln mit längeren Anstiegen. Streckenlänge im Schnitt um 80 km und um 1.000 Höhenmeter pro Tag.“

Nun gut. Evtl. fehlt da ein vierter Anstrich. 😉

Nach dem Lesen der Tagesübersicht oben, sagt selbst, ist das noch eine Radreise oder doch eher eine Radsportveranstaltung?
Hand hoch, wer jetzt nach der Ministatistik sagt, daß er oder sie auch gern diese Etappen gebucht hätte, wenn er/sie diese Zusatzinfo vorher gehabt hätte.
Hand hoch, wer der Meinung ist, nun erst recht nicht!
Blog-Kommentare dazu jederzeit willkommen. 😉

Vielleicht sollten wir uns auch mit ganz anderen Maßstäben messen?!

Es gibt da z.B. eine „Liste der höchstgelegenen Bergwertungen der Tour de France:
„Die Liste der höchstgelegenen Bergwertungen der Tour de France stellt alle 27 Bergwertungen dar, die ab 2.000 Meter über dem Meeresspiegel abgenommen werden und Teil einer Tour de France-Etappe waren. …“
Lest mal nach. Viel Vergnügen.
[https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_h%C3%B6chstgelegenen_Bergwertungen_der_Tour_de_France]

Unter https://www.radsport-news.com/sport/tour_de_france_2018.htm ist u.a. über die Tour de France 2018 zu lesen
„… Ein Spektakel verspricht auch die 17. Etappe von Bagnieres-du-Luchon nach Pla d´Adet, die auf ihren nur 65 Kilometern nicht weniger als 38 Kilometer bergauf führt.“

Ein Spektakel, so so. Unsere Bergetappe zu den Reisterrassen hinauf (Yuanyang-Titian) war auch 38.6km lang und hatte immerhin 1576m Höhenmeter.
Vive la Radweltreise.

Weil es so schön war, hier noch ein paar Fotos von Bergen und tiefen tiefen Tälern:

Heute mag ich Ananas!

Tag 217 der Radweltreise. Bilderbuchwetter und lockere Fahrt bei knapp 350 Höhenmetern von Ganlanba nach Menglun

Karin B., Mitradlerin der ersten Stunde schrieb vor einigen Tagen eine Mail:

„Ja, solche Berichte mag ich lesen, wo einem der Dreck schon beim Öffnen des PCs entgegen rinnt und ordentlich was passiert…… 😊“

Nun, liebe Karin, heute kaum Dreck, das einzige, was Dir fruchtig-spritzig entgegenspringen könnte, wäre eine unglaublich frische und leckere Ananas. Die kleine Passhöhe des heutigen Tages wurde zwar in den fünf Jahren, die ich nicht mehr auf dieser Strecke war, verbreitert, aber den Ananasstand gibt es immer noch. Genauer gesagt, einen Ananasstand, und da köpfen wir dann gleich zwei Früchte.

Danach rollte es mit einigen Zwischensteigungen bis nach Menglun, wir checken kurz nach Mittag ein, duschen Haupthaar und Körper, vertilgen Berge von gebratenen Nudeln und verbringen dann den Nachmittag im Botanischen Garten der Stadt. Bereits 1959 gegründet, ist der Garten ein gutes Beispiel, dass China Naturschutz, entgegen anderer Berichte, doch recht gut kann. Eine grüne Oase mit allem, was die lokale Flora und Fauna hergibt.

Gleich geht’s zum Abendessen und dann früh ins Bett. Morgen ruft die letzte chinesische Königsetappe, 1.800 Höhenmeter auf 90 Kilometer.

Bilderbuchtag nach Bilderbuchtag

Tag 216 der Radweltreise. Herzliches Wetter und eine kurze Etappe von Jinghong nach Ganlanba

Eigentlich ist heute nicht viel passiert. Wir haben gemütlich in der Garküche gegenüber dem Hotel gefrühstückt, sind dann gemütlich losgerollt, erst auf der stark befahrenen Ausfallstraße zum Flughafen, dann auf der eigentlich schön zu fahrenden Nebenstraße, die durch Bananen-, Kautschuk- und Ananasplantagen zum Mekong führt. Diese kreuzt leider zweimal die Baustelle für die Eisenbahn nach Laos. Entsprechend übel hat der LKW-Verkehr, der sich aber glücklicherweise in Grenzen hält, die Straße zugerichtet. Eine Schlaglochstrecke, die wir glücklicherweise bei trockenem Wetter durchfahren. Vielleicht sollten wir für die nächsten Touren, bis die Eisenbahn fertiggestellt ist, wieder auf der Strecke unserer Pioniertage auf der anderen Mekongseite fahren.

Am späten Mittag erreichen wir den Mekong und setzen nach Ganlanba über.

Zum Mittagessen gibt es zum ersten Mal „kalte Nudeln“, eine Art Nudelsalat mit breiten Reisnudeln, lecker scharf-sauer angemacht mit Sojasoße, Essig, Chili, Gurke und Karotten.

Mit angenehmer Schärfe im Mund radeln wir die letzten zwei Kilometer, checken in unserem Dai-Dorf-Haus 2.0 (traditionelle Holzverkleidung auf Betonstruktur) ein und gehen dann Neujahr feiern. Wie die lokale Dai-Ethnie jeden Tag, für eine Scharr jubelnder chinesischer Touristen. Ein paar ältere Damen tanzen mit und lassen sich mit Wasser bespritzen. Ein paar erfrischende Tropfen bekommen auch wie ab und dann steht noch der Manchuman-Tempel auf dem Programm. Wie immer wunderbar pitoresk und fotogen, aber leider kein Ort der Andacht mehr.

Nach dem obligatorischem Nachmittagseis kaufen wir noch ein paar Trockenfrüchte und Palmzucker für die letzte chinesische Königsetappe und widmen uns dann der Körper- und Blogpflege. Während ich den Blog schreibe, machen sich zwei gewürzgespickte Fische auf den Weg zum Grill und das Huhn verlässt den Kühlschrank zum letzten Gang.

Das Leben ist gut!

Bilderbuch am Ruhetag: Jinghong

Tag 215 der Radweltreise. Ruhetag in Jinghong. Auftritt Wintermonsun!

Auf diesen Tag haben wir lange gewartet!

Nicht nur auf den Ruhetag, sondern auch auf den Tag, an dem der Wintermonsun einsetzt. Sprich: Warmes, trockenes Wetter. Heute war dieser Tag, und wir genießen es.

Entsprechend entspannt war der Ruhetag in Jinghong. Ein kleiner Stadtspaziergang, gemeinsame Nudelsuppe und der Nachmittag zur freien Verfügung, der dann auch leidlich genutzt wurde, um Einzukaufen, Haare zu schneiden und leider auch zu packen! Imma und Gerhard sind heute nach Hause geflogen und hinterlassen eine schmerzliche Lücke! Und damit ist nicht nur das technische Knowhow gemeint! Immerhin, Gerhard ist in ein paar Wochen wieder dabei und sein Rad fährt bis dahin Begleitfahrzeug.

Die Bilder vom Tage (Heuschrecken und Ananasreis gab es auch!):